Kommentar |
Heinrich Heine sah seinerzeit die Elementarbegriffe von Zeit und Raum ins Schwanken geraten: 'Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig.' Dem entsprechen nun hochtechnische Medien. Es ist ein Indiz der aktuellen Situation, dass medienkulturelle Zeitformen wie die 'Echtzeit' nach technischen Fachbegriffe verlangen und nicht etwa auf einen kulturell-diskursiven Begriff gebracht werden. Immanuel Kant bezeichnete die Zeit noch als transzendentale Form der inneren Anschauung. Medienwirkungsforschung sucht solche Aprioris in ihrer technischen und physiologischen Konkretion zu benennen, wenn es zur Kopplung menschlicher Wahrnehmung mit apparativen Praktiken der Manipulation von Zeit kommt. Radikale Medienarchäologie widmet sich deren genuinen Formen der Zeitgebung und der Zeitachsenmanipulationen durch und in technischen Medien.
Ziel des Seminars ist die Identifizierung und Charakterisierung medienspezifischer Zeitfiguren, ihre analogtechnischen, algorithmischen und zeitkritischen Realisationen. |
Literatur |
- Julius Kollert, Untersuchungen über den Zeitsinn, in: Philosophische Studien 1 (1883), 78-89;
- Britton Chance et al. (Hg.), Electronic Time Measurements, New York / Toronto / London (McGraw-Hill) 1948;
- Axel Volmar (Hg.), Zeitkritische Medien, Berlin (Kulturverlag Kadmos) 2009;
- Henning Schmidgen (Hg.), Lebendige Zeit. Wissenskulturen im Werden, Berlin (Kulturverlag Kadmos) 2005;
- Götz Großklaus, Medien-Zeit, Medien-Raum. Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne, Frankfurt / M. (Suhrkamp) 1995;
- Alex Preda, The Stock Ticker, in: Bruno Latour / Peter Weibel (Hg.), Making Things Public. Atmospheres of Democracy, Cambdrige, Mass. / London (MIT Press) 2005, 622-627;
- Christian Kassung / Albert Kümmel, Synchronisationsprobleme, in: Albert Kümmel / Erhard Schüttpelz (Hg.), Signale der Störung, München (Fink) 2003, 143-165;
- kritischer Kommentar: Peter Berz, ebd., 167-171;
- Knut Hickethier, Synchron. Gleichzeitigkeit, Vertaktung und Synchronisation der Medien, in: Werner Faulstich / Christian Steininger (Hg.): Zeit in den Medien - Medien in der Zeit, München, 2002;
- Peter Gendolla, Die Einrichtung der Zeit, in: Christian W. Thomsen / Hans Holländer (Hg.), Augenblick und Zeitpunkt, Darmstadt (Wiss. Buchgesellschaft) 1984, 47-58;
- Andreas Becker, Die kinematographische Perspektivierung der Zeit. Zur Geschichte der zeitlichen Raffung, in: MEDIENwissenschaft 1/2003, 29-37;
- Maurizio Lazzarato, Kapitel "Video, Ströme und reale Zeit", in: ders., Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus, Berlin (b_books) 2002, 65-88;
- Bernhard Siegert, Das Leben zählt nicht. Natur- und Geisteswissenschaften bei Dilethey aus mediengschichtlicher Sicht, in: Claus Pias (Hg.), Medien. Dreizehn Vorträge zur Medienkultur, Weimar 1999, 161-182;
- Stillstellen. Medien - Aufzeichnung - Zeit, hg. v. Andreas Gellhard, Ulf Schmidt u. Tanja Schultz, Schliengen (Argus) 2004; Georg Christoph Tholen / Michael O. Scholl (Hg.), Zeit-Zeichen, Weinheim (VCH) 1990.
|