Kommentar |
“Legal practice is up to its neck in epistemology. Legal practice involves proof, evidence, doubt, testimony, arguments, witnesses, experts, and so on. The epistemology of legal practice, often referred to as legal epistemology, examines epistemological questions raised by legal practice. It can also apply legal insights to illuminating perennial epistemological problems” (G. Gardiner).
Dieses Seminar soll der Einarbeitung in das Feld der Erkenntnistheorie des Rechts dienen. Ein zentrales Thema wird die richterliche Überzeugungsbildung angesichts der einschlägigen Beweisstandards sein: Wie gut muss eine Überzeugung begründet sein, um die jeweiligen Beweisstandards zu erfüllen? Welche Rolle spielen Wahrscheinlichkeitserwägungen, welche der Schluss auf die beste Erklärung? Was ist überhaupt ein Beweis im rechtlichen Sinne? Wie ist der Grundsatz in dubio pro reo gemeint, wenn der Zweifelsgrund des bösen Dämons im Gerichtssaal keine Rolle spielt? Stützt die Variabilität von Beweisstandards den Kontextualismus bezüglich des Wissensbegriffs? Was besagt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung? Was spricht für und was gegen diesen Grundsatz? Steht er in Spannung zur erkenntnistheoretischen Norm des Evidentialismus?
Weitere Themen der Erkenntnistheorie des Rechts sind: die (Un-)Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen und von Erinnerungen, Erkenntnisgewinn durch Sachverständige, der Prozess als Verfahren der Wahrheitsfindung, Bildung kollektiver Überzeugungen bei Kammern und Senaten, der Umgang mit Vorurteilen, der Beweiswert von Lügendetektoren, das Erschließen von Motiven, epistemische Kriterien für Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Das Forschungsfeld der Erkenntnistheorie des Rechts ist im Wissenschaftssystem noch nicht institutionalisiert. Aus Sicht der Philosophie gehört das Feld zur „angewandten Erkenntnistheorie“. Wir werden im Seminar sowohl juristische als auch philosophische Texte lesen. Im Idealfall ergibt sich die von Gardiner genannte wechselseitige Befruchtung. Der Umgang des Rechts mit epistemischen Herausforderungen könnte ein erhellendes Licht auf klassische erkenntnistheoretische Fragen werfen. |