Kommentar |
Pflegekräfte, Paketboten, Kassiererinnen - wer ist in Krisenzeiten 'systemrelevant' und was bedeutet das für gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe? Gibt es ein Recht auf günstigen Wohnraum in der Stadt? Welche Rolle spielt das Gebot der Nächstenliebe im Umgang mit Flüchtlingen? Kann es eine Verpflichtung zur Solidarität - etwa mit den Menschen des südlichen Afrika - geben? Sollte es eine 'Reichensteuer' geben? Ist der Sozialstaat globalisierungstauglich?
Religion war und ist nie nur mit Transzendenz beschäftigt, sondern schon immer sozial handlungsleitend - und das gilt auch für das Christentum.
Die Ethik des Sozialen beschäftigt sich vorrangig mit den Fragen sozialer Gerechtigkeit, also der angemessenen gesellschaftsstrukturellen Verteilung von Anerkennungs-, Teilnahme- und Teilhabechancen, wie sie etwa in wohlfahrtsstaatlichen Arrangements, in internationalen Vereinbarungen zu Arbeits- und Wirtschaftsrecht oder in menschenrechtlichen Debatten thematisch sind. Im Gesamt der Bereichsethiken steht sie dabei besonders der Ethik des Politischen, der Wirtschafts- und Rechtsethik nahe und kommt im Rahmen der Sozialethik zu stehen, mit der sie freilich nicht zu verwechseln ist.
Die Vorlesung wird die historische Entwicklung der Ethik des Sozialen anhand einschlägiger Strömungen wie dem positiven Luthertum, dem religiösen Sozialismus oder dem Social Gospel nachzeichnen, um dann die normativen Prinzipien dieser Bereichsethik - Freiheit, Gleichheit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit - im interdisziplinären Kontext sozialphilosophischer und -theologischer Theoriebildung zu erörtern. Anhand konkreter Anwendungsfelder wie Armut und Reichtum, Arbeit, Bildung, Migration oder kultureller Anerkennung werden dann Problembereiche der Ethik des Sozialen dargestellt.
Nach erfolgreichem Besuch der Vorlesung sind Sie hinsichtlich der Geschichte der Sozialethik auskunftsfähig, können unterschiedliche Konzepte von Freiheit oder Gerechtigkeit benennen und begründet Position beziehen und haben erste Fähigkeiten zur sozialethischen Beurteilung konkreter Handlungsoptionen erworben. |
Literatur |
Bedford-Strohm, Heinrich, Vorrang für die Armen. Auf dem Weg zu einer theologischen Theorie der Gerechtigkeit, Gütersloh 1993; Brunner, Emil, Gerechtigkeit. Eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung, Zürich 1943; Dabrock, Peter, Befähigungsgerechtigkeit. Ein Grundkonzept konkreter Ethik in fundamentaltheologischer Perspektive. Unter Mitarbeit von Ruth Denkhaus, Gütersloh 2012; Dallmann, Hans-Ulrich, Das Recht, verschieden zu sein. Eine sozialethische Studie zu Inklusion und Exklusion im Kontext von Migration (Öffentliche Theologie Bd. 13), Gütersloh 2002; EKD (Hg.): Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Armut in Deutschland, Gütersloh 2006 (EKD 2006); Honecker, Martin: Grundriss der Sozialethik, Berlin/New York 1995; Huber, Wolfgang, Freiheit und Institution. Sozialethik als Ethik kommunikativer Freiheit, in: Ders.: Folgen christlicher Freiheit. Ethik und Theorie der Kirche im Horizont der Barmer Theologischen Erklärung, Neukirchen-Vluyn 1983, 113–127; Kersting, Wolfgang: Theorien sozialer Gerechtigkeit, Weilerswist 2000; Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, München/Wien 1999; Wolf, Ernst: Sozialethik. Theologische Grundfragen, Göttingen 1975. |