Kommentar |
Die aristotelische Rhetorik ist im Grunde die Ausführung der drei Forderungen Platons im Phaidros an echte Rhetorik: 1. Einbeziehung und Zugrundelegung der Dialektik qua wissenschaftlicher Methode und Beweistechnik auf der theoretischen und ethischen Sachebene (Buch I der aristotelischen Rhetorik); 2. Einbeziehung und Zugrundelegung der Psychologie qua wissenschaftlicher Methode der Menschenkenntnis und Kommunikation auf der Kontakt- und Emotionsebene (Buch II der aristotelischen Rhetorik); 3. Einbeziehung und Zugrundelegung der rhetorischen Technologie qua wissenschaftlicher Methode der Form der Rede als gestaltetes (Stil) und gegliedertes (Aufbau) organisches Ganzes (Buch III der aristotelischen Rhetorik). Die Vielschichtigkeit des theoretischen Vorhabens und der Betrachtungsebenen macht die aristotelische Rhetorik zu einem Schnittpunkt unterschiedlicher Zweige des philosophischen Systems des Aristoteles: Erkenntnis- und Sprachtheorie, Psychologie, Ethik. Schwerpunkt dieses Seminars wird das zweite Buch der Rhetorik sein, d.h., das Buch, in dem sich Aristoteles mit dem Publikum, anders gesagt mit dem Kommunikationsempfänger und dessen Emotionen beschäftigt. Denn Beweise, Argumente und Zeugen nützen wenig, wenn der Redner nicht glaubwürdig ist. Im besten Falle wirkt der Redner auf die Zuhörer kompetent, redlich und wohlwollend. Besonders wichtig ist, dass es ihm gelingt, Emotionen zu wecken. Dazu muss man wissen, woraus sich diese Emotionen ergeben und auf welche Personen oder Sachen sie sich in der Regel beziehen. Diese Fragen lassen sich für die verschiedenen Emotionen wie etwa Zorn, Sanftmut, Scham, Furcht, Zuversicht, Mitleid, Neid oder Entrüstung in den Kap. 2—11 des zweiten Buches analysieren. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Kapiteln werden wir versuchen zu verstehen, auf welchen Kriterien beruhend und worauf abzielend Aristoteles eine „Enzyklopädie der Emotionen“ sub specie rhetoricae geschaffen hat.
Eine ausführliche Literaturliste wird am Anfang des Seminars bereitgestellt. |