Kommentar |
Wenn man sich den Werken von Meister Eckhart nähert, entdeckt man einen der originellsten, hochkomplexesten und faszinierendsten Denker der mittelalterlichen Theologie, der einerseits das ganze philosophische und theologische Erbe der Antike aufnimmt und neu denkt sowie andererseits Fragen aufwirft und Perspektiven öffnet, welche die Wende in die Moderne schon ankündigen. Schon als Jugendlicher trat Eckhart in den Orden der Dominikaner ein, in dem er später hohe Ämter erlangte. Mit seinen Predigten erzielte er nicht nur bei seinen Zeitgenossen eine starke Wirkung, sondern beeindruckte auch die Nachwelt. Außerdem leistete er einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der deutschen philosophischen Fachsprache. Sein Hauptanliegen war die Verbreitung von Grundsätzen für eine konsequent spirituelle Lebenspraxis im Alltag. Aufsehen erregten seine unkonventionellen, teils provozierend formulierten Aussagen und sein schroffer Widerspruch zu damals verbreiteten Überzeugungen. Eckharts Lehre kreist um zwei Pole: Gott und die menschliche Seele. Er will seine Hörer bzw. Leser über die Beschaffenheit der Seele und (soweit möglich) über Gott aufklären und darüber belehren, wie sich Gott und Seele zueinander verhalten. Dabei spielt für ihn der Praxisbezug seiner Ausführungen eine zentrale Rolle. Der Hörer oder Leser soll dazu angeleitet werden, anhand eigener Selbst- und Gotteserfahrung zu den von Eckhart beschriebenen Einsichten zu gelangen. Den Ausgangspunkt der Behandlung dieser Thematik bildet die Frage, wie Gotteserkenntnis zustande kommen kann und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. In diesem Seminar werden wir uns mit einem der bedeutendsten (Spät-)werke von Meister Eckhart, und zwar mit seiner Auslegung des Evangeliums nach Johannes, beschäftigen. Durch die intensive Auseinandersetzung mit diesem Werk werden wir versuchen, eine möglichst tiefe Einsicht in einige Kernelemente der Gottes- und Seelenlehre des Meister Eckhart zu gewinnen und das faszinierende Paradox eines Denkers zu hinterfragen, dessen Suche nach Gott sich in der Erkundung der radikalen Unerkennbarkeit Gottes vollendet.
Eine ausführliche Literaturliste wird am Anfang des Seminars bereitgestellt. |