Kommentar |
Der Blick von Nirgendwo: so lautete die Formel für die Objektivität, welche die Wissenschaften für sich in Anspruch nahmen. So lautete aber auch die Formel für die Universalität, welche die neuzeitlichen Kunstauffassungen und die Narrative der Entwicklung der Kunstformen für sich behaupteten. Dieser Anspruch auf Universalität wird heute aus postkolonialer und technoökologischer Sicht für seine kolonialen Verblendungen sowie für die verheerenden Folgen seines Anthropozentrismus kritisiert. Die Debatte greift bis in die zeitgenössischen Kunstpraktiken und die kuratorischen Entscheidungen hinein, die das überlieferte Verständnis von Kunst bestreiten und es erweitern möchten. Diese Erweiterung drückt also nicht bloß eine Neuverhandlung der Weltverhältnisse aus, sondern beansprucht die westliche Kunstgeschichte und den bürgerlichen Kunstbegriff zu revidieren. Und dennoch besteht unter veränderten Bedingungen das Anliegen der Künste, ein Gemeinsames zu adressieren, heute fort: als Erscheinungsraum oder als gemeinsame Welt – so vielfältig, offen und unbestimmbar diese auch gemeint sein mögen. Das Seminar geht dem Fortbestehen dieses Anliegens und seiner gegenwärtigen Transformation nach.
Ein kritischer Zugang zum überlieferten Universalitätsanliegen wird zunächst mit einer Einführung in Hannah Arendts Vita activa gelegt. Der „Blick von nirgendwo“ soll mit Arendts Kritik an den kulturgeschichtlichen Folgen der Entdeckung eines „archimedischen Punkts“ durch Galileo Galilei konfrontiert werden. Als Gegenüberstellung werden wir Arendts Verständnis und Plädoyer für den Erscheinungsraum nachgehen.
Das Seminar bringt gegenwärtige Performance Art und Kunst im öffentlichen Raum mit dieser Debatte in Zusammenhang. Angesichts der Destabilisierung der westlich-anthropozentrischen Verortung der Künste im Horizont des Bewusstseins, werden wir den Erscheinungsraum erkunden, den die Künste räumlich-performativ erschaffen. Wir werden Kunstformen und -praktiken als Momente untersuchen, die das Publikum oder die BetrachterInnen als Erscheinungsraum in ihrer affektiven Gegenwart zeitigen. Unter anderem soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern sie in das Setting der Bedingungen eingreifen, die künstlerische Formen als solche bestimmen. Ist diese Frage als Kritik der bürgerlichen Ästhetik überhaupt berechtigt? Anhand von ausgewählten Beispielen werden wir die Bedeutung, die die räumlich-performative Dimension der Künste im Kontext gegenwärtiger Kritik über die Grenze einzelner Künste hinaus gewinnt, zur Diskussion stellen. |
Literatur |
Literatur (die Liste wird der Diskussion entsprechend im Rahmen des Seminars ergänzt): Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, Piper 1967, Achille Membe, Kritik der schwarzen Vernunft, Suhrkamp 2014, Thomas Nagel, Der Blick von Nirgendwo, Suhrkamp 2012, Jean-Luc Nancy, Wahrheit der Demokratie, Passagen 2009, Marita Tatari, Kunstwerk als Handlung – Transformationen von Ausstellung und Teilnahme, Fink 2017 |