Teilnahmevoraussetzungen
Bereitschaft zur Lektüre deutscher und englischer Theorietexte
Die moderne Gesellschaft beruht seit ihrer Entstehung bis zur Gegenwart auf einem kulturellen Modell des Fortschritts, und zwar sowohl auf der Ebene der Gesamtgesellschaft als auch jener des Subjekts. Zugleich bringt sie jedoch systematisch Verlusterfahrungen hervor, die sie in ihrer herrschenden Version allerdings versucht, unsichtbar zu machen: die 'Modernisierungsverlierer' im Zuge des Verlusts der Agrargesellschaft und später der Industriegesellschaft, die Umweltverluste des Anthropozäns, die Verluste im Zuge der Gewaltgeschichte der Moderne, das Scheitern der Verlierer (losers) im Verhältnis zu den Gewinnern, die Verluste durch Krankheit und Tod etc. Die Verlusterfahrungen suchen die Moderne allerdings immer wieder heim, finden einen psychisch-affektiven Ausdruck oder drücken sich in entsprechenden kulturell-sozialen Formaten aus. Generell enthält das Phänomen des Verlusts ein enges Verhältnis zur Zeitlichkeit (Imagination der Vergangenheit) sowie zur Affektivität (negative Affekte). Was sind die Gründe für die moderne Verlustproduktion und für die Verlusttabuisierung? Welche psychischen, kulturellen und politischen Verarbeitungsmuster finden sich? Kann die Moderne ein reflektiertes Verhältnis zu ihren Verlusten herstellen?
Das Thema ist neu und experimentell. Wir werden uns ihm - nach einem kurzen Blick auf den Fortschrittsdiskurs - aus verschiedenen Richtungen nähern: Modernisierung und Modernisierungsverlierer; die Figur des 'losers'; Soziologie des Scheiterns; Soziologie des Todes; Trauer(arbeit) in der Psychoanalyse; Trauma; Kulturkritik seit Rousseau; Nostalgie in Kunst und Kultur; Wut und Populismus; Anthropozän; Philosophie der Negativität; Vulnerabilität und Resilienz.
Referat und Hausarbeit; 10 LP