Kommentar |
Suchtverhalten zeichnet sich durch den kontinuierlichen Konsum von Suchtmitteln trotz scheinbar überwiegend negativer Konsequenzen aus. Wie lässt es sich erklären, dass Personen langfristig in ein Verhalten verstrickt sind, dass ihnen selbst und eventuell anderen schadet? Im westlichen Kontext wurde dieses Verhalten lange als eine Schwäche des Charakters angesehen. Verstanden als eine freie Willensentscheidung wurde das Verhalten oft als moralisch falsch verurteilt. Weitreichende Stigmatisierung ist bis heute die Folge – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Betroffenen. Der Ausgangspunkt des Projekttutoriums bilden zeitgenössische Erklärungsmodelle, welche der Stigmatisierung entgegenwirken und sich vor allem auf neurobiologische Forschung und Erkenntnisse in der Genetik stützen. Modelle dieser Art verstehen Sucht nicht als freie Entscheidung, sondern als chronische Erkrankung des Gehirns: Suchtmittel verändern langfristig neurobiologische Strukturen im Gehirn und entziehen Betroffenen die Kontrolle. Somit können sie auch nicht mehr verantwortlich für ihr Verhalten gemacht werden. „Drugs hijack the brain“ lautet die Devise dieser Modelle. Dies scheint jedoch über das Ziel hinauszuschießen; betroffene Personen zeigen bisweilen ein hohes Maß an Kontrolle in ihrem Verhalten und erfolgreiche Therapieansätze setzen die Selbstbestimmung Betroffener voraus. Dazu kommt die vermehrte Anerkennung von substanzunabhängigen Suchtverhalten, wie Glücksspielsucht oder die vor kurzem eingeführte Diagnose der Computerspielsucht. Drogen scheinen demnach nicht unbedingt zentral für ein Verständnis von Suchtverhalten zu sein. In dem Projekttutorium werden wir die Problemlage und die verschiedenen Erklärungsmodelle für Suchtverhalten zuerst nachvollziehen und im Anschluss kritisch hinterfragen. Dabei sollen vorrangig die verschiedenen Ebenen der neurobiologischen, psychologischen und sozialen Gesichtspunkte in Verbindung gebracht werden. Bei Interesse, schreib mir gerne eine Mail an jakob.eichler[at]hu-berlin.de |