Kommentar |
Als Paul Bourget 1881 in einem Essay über Charles Baudelaire seine dann berühmt gewordene Théorie de la décadence formuliert, entwickelt er, vielleicht ohne es zu wollen, ein ästhetisches Programm: « Un style de décadence est celui où l'unité du livre se décompose pour laisser la place à l'indépendance de la page, où la page se décompose pour laisser la place à l'indépendance de la phrase, et la phrase pour laisser la place à l'indépendance du mot. » Die Autonomisierung des Teils gegenüber dem Ganzen muss langfristig zur Zerstörung des Ganzen führen, das gilt für die Sprache ebenso wie für den Körper und für den Staat. Für Bourget macht Baudelaires überhöhnte Sensibilität ihn zum Seismographen einer Epoche, die in zunehmender Überfeinerung der Nerven ihrem Ende zugeht.
Im Seminar werden wir uns, mit Schwerpunkt auf Frankreich (Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal, das Journal der Brüder Goncourt, Joris-Karl Huysmans: A rebours) und Seitenblicken nach Belgien (Georges Rodenbach: Bruges-la-Morte), Italien (Gabriele d’Annunzio: Il piacere), Deutschland (Thomas Mann: Tod in Venedig) und Österreich (Hugo von Hofmannsthal: Reitergeschichte) mit literarischen Verfallstexten beschäftigen und deren ästhetische Verfahren zu den Dekadenzdiskursen der Jahrhundertwende in Beziehung setzen. Gute Französischkenntnisse sind für das Seminar erforderlich, d’Annunzio kann in deutscher Übersetzung gelesen werden. |