Die vier Jahre nach dem Ende des Krieges geschrieben Abhandlung von Karl Jaspers ist der bedeutendste Beitrag zur Geschichtsphilosophie im 20. Jahrhundert. Der nach 1933 unter Lehrverbot stehende und seit 1939 täglich mit der Deportation in ein Todeslager rechnende Denker hat bereits 1945 seine bewegende Antwort auf die „Schuldfrage“ der Deutschen publiziert. Auch seine eindringende Kenntnis der Werke Nietzsche hatte ihn mit der These von der Sinnlosigkeit der Geschichte vertraut gemacht. Da er weder mit Kant noch mit Hegel davon ausgehenden konnte, dass der Sinn der Geschichte in der Kontinuität der Natur- oder Vernunftentwicklung liegen konnte, entwickelt er eine These vom geschichtlichen Ursprung der Sinnfragen, der sich die Menschheit zu stellen hat, solange sie sich als Menschheit begreift.
Den geschichtlichen Ursprung sieht Jaspers in der „Achsenzeit“, einer global gefassten, sich von China über Indien, Persien, Mesopotamien bis nach Griechenland erstreckenden Epoche zwischen 800 und 300 v. Chr., in der die großen begrifflichen Konzeptionen von Universalität und Individualität entstehen. Sie bestimmen seitdem die Philosophie, die Religionen und die Literaturen.
Jaspers These hat eine breite historische Forschung angeregt, die längst auf andere Wissenschaften ausstrahlt. Nur die akademische Philosophie hat diese auch methodologisch überaus interessante Konstruktion bislang zu wenig beachtet.
Wir lesen die Schuldfrage und befassen uns dann mit Jaspers Ursprung und Ziel der Geschichte. Einen in Kürze im Jaspers-Handbuch erscheinende Artikel kann ich auf Anfrage elektronisch zu Verfügung stellen.