Kommentar |
Wenn Nikolaj Vasilevič Gogol’, der in diesem Jahr 210 Jahre alt wäre, heute nicht mehr nur von Russland, sondern auch von der Ukraine als kanonischer Autor der nationalen Literaturgeschichte in Anspruch genommen wird, so liegt der Grund dafür nicht zuletzt beim Autor selbst und den literarischen Entscheidungen, die er während seiner Laufbahn als Schriftsteller getroffen hat. Gogol’ ist ein russischsprachiger Autor, dessen Werke von Epochen und Nationen übergreifender literarischer Bedeutung sind. Aber Gogol’ hat im Kontext des Russischen Imperiums geschrieben, in dem er von der ukrainischen Peripherie ins Zentrum kam und sich dort zunächst als Autor, der die Ukraine als folkloristischen Gegenstand literarischer Darstellung neu erfand, einen Namen machte. Wir werden im Seminar nicht versuchen, in aktuelle politische Debatten einzustimmen und Gogol’ entweder Russland oder der Ukraine zuzuschlagen. Vielmehr wollen wir seine literarischen Strategien erkunden, mit denen Gogol’ sowohl eine imaginäre Ukraine als auch einen Russland- und Petersburgmythos (mit)erschuf, die bis heute in den beiden Literaturen virulent geblieben sind. Dazu wird es auch nützlich sein, Gogol’s Blicke auf Europa insgesamt in den Blick zu nehmen. Darüberhinaus wird es auch darum gehen, Gogol’ als immer noch aktuellen Klassiker der literarischen Groteske und des Absurden zu würdigen und zugleich seine tiefe Ablehnung eines modernen Literaturverständnisses nachzuvollziehen.
Zur Vorbereitung wird die Lektüre möglichst vieler Erzählungen Gogol’s empfohlen. |