Kommentar |
Wer heutzutage viel Geld verdienen möchte, muss flexibel, belastbar, kreativ, innovativ, teamfähig, begeisterungsfähig und… kreativ sein. Wer sich für einen Job oder auch nur ein Praktikum bewirbt, muss zumindest die Fähigkeit besitzen, anderen Menschen ein solches Bild von sich selbst zu vermitteln. Insgesamt scheinen in einer immer totaler durch das Internet vermittelten Kultur nicht nur Berufs- und Privatleben, sondern auch Leben und Kunst, Kunst und Arbeit, Arbeit und Selbstverwirklichung sowie Ware und Persönlichkeit zu einem einzigen, schnell zu konsumierenden Bild zu verschmelzen. Im Q-Tutorium werden wir der Frage nachgehen, inwiefern dieser Kulturkapitalismus auf die Aneignung diverser anti-kapitalistischer „Künstlerkritiken“ durch das Kapital zurückzuführen ist. Dafür werden wir uns den Prozess anschauen, in welchem ökonomisch-soziale Krisen durch (Künstler-)Kritiken zu einem produktiven, systemimmanenten Moment der Effizienzsteigerung gewandt werden. Des Weiteren soll die benannte Verschmelzung von Leben, Arbeit, Kunst und Konsum zu einem einzigen kulturkapitalistischen „Spektakel“ untersucht werden, um schließlich eine Kritik an der „Postmoderne“ (Jameson, Eagleton, Harvey) als ebensolchem vorzunehmen. Dafür werden wir zunächst in Luc Boltanskis und Ève Chiapellos „Der neue Geist des Kapitalismus“ sowie in Guy Debords „Die Gesellschaft des Spektakels“ hereinlesen. Auch da das Q-Tutorium an eine im letzten Semester durchgeführte Veranstaltung anschließt, in welcher wir mithilfe von Manfredo Tafuris „Kapitalismus und Architektur“ eine ähnlich kritische Perspektive auf die historischen Avantgarden einnahmen, werden wir in diesem Semester erneut Tafuri zu Rate ziehen – dieses Mal allerdings mit dem Ziel, seine Kritik vom Modernismus auf die Postmoderne zu übertragen. Wir wollen u.a. zu begreifen versuchen, inwiefern der Geist (Weber) oder auch die Ideologie (Marx) des Kapitalismus in der Postmoderne mit der „Basis“ zu einer „materialisierten Ideologie“ (Debord) fusionieren, die keine äußere Legitimation mehr benötigt, weil sie sich immer schon als (künstlerische Selbst-)Verwirklichung des Lebens performiert und von nun als dessen einzig mögliche, zugleich kulturell-immanente und geschichtslos-befreite Form erscheint. Da das Q-Tutorium ein Lehrformat zum Forschen ist, sollen all diese Fragen in einem gemeinsamen Forschungsprozess erarbeitet werden. Während die erste Hälfte des Tutoriums v.a. zur inhaltlichen Einführung dient, werden im zweiten Schritt ausgehend von der übergeordneten Forschungsfrage individuelle Fragestellungen entwickelt, die in Einzel-/oder Gruppenarbeit, jedoch stetig im gegenseitigen Austausch zu bearbeiten sind. Am Ende des Semesters werden die Ergebnisse dieser Forschung je nach Form gemeinsam präsentiert – möglich sind sowohl akademische als auch künstlerische Arbeiten. Das Q-Tutorium ist ausdrücklich interdisziplinär angelegt und heißt Studierende aller Fachrichtungen und Universitäten willkommen! Insgesamt würden wir uns über eine vorherige Anmeldung mit kurzer Information zu eurer Person und euren Interessen freuen: q-tutorium@gmx.de |
Literatur |
Boltanski, Luc; Chiapello, Ève (2018) Der neue Geist des Kapitalismus, Köln: édition discours. Debord, Guy (1996) Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin: Edition Tiamat. Manfredo Tafuri (1977) Kapitalismus und Architektur. Von Corbusiers ‚Utopia’ zur Trabantenstadt, Berlin: VSA.
De Toledo, Camille (2005) Bonjour Tristesse. Bekenntnisse eines unangenehmen Zeitgenossen, Berlin: Tropen. Fredric Jameson (1991) Postmodernism, Or, the Cultural Logic of Late Capitalism, Durham, NC: Duke University Press. Eagleton, Terry (2004) After Theory, New York: Penguin Books. Harvey, David (1989) The Condition of Postmodernity: An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Oxford: Blackwell. |