Kommentar |
Die Geschichte der Nuklearforschung, die bis in die Antike zurückreicht, erfuhr durch das US Manhattan Project und den militärischen Einsatz der Atombombe gegen das japanische Kollektiv am Ende des Zweiten Weltkriegs eine jähe Umwertung. Seit diesem Zeitpunkt steht den positiven Versprechungen, die Wissenschaft und Politik mit Atomenergie verbanden und ihr bis heute zuerkennen, die ultimative Destruktionskraft der Kernwaffendetonation entgegen, was sich auch in der globalpolitischen Symbolsprache des Kalten Krieges artikulierte. Vorstellungen einer unerschöpflichen Energiequelle, die sich in den ‚Dienst der Menschheit‘ stellen ließe, kontrastieren mit Weltuntergangsängsten.
Das Projektseminar fokussiert auf die Frage, wie sich die Doppelwertigkeit nuklearer Energie – vermehrt seit Mitte der 1940er Jahre – in zahlreichen kulturellen Artefakten äußerte: Philosophische Abhandlungen (G. Anders), dokumentierte wissenschaftliche Podiumsdiskussionen und prominente politische Reden (D. D. Eisenhower) treffen auf Augenzeugenberichte (J. R. Oppenheimer), Zeitungsartikel, Sachbücher (H. Haber), Briefe (A. Einstein, C. Eatherley), Romane (Masuji Ibuse), Photographien (M. Light, R. Fermi) und museale Ausstellungen (Hiroshima Peace Memorial Museum). Aber auch populärkulturelle Quellen wie Cartoons (W. Disney), Mangas (Keiji Nakazawa) und die internationale Filmkultur – (TV-)Dokumentationen, Animations-, Zeichentrick- und Spielfilme (K. Shindō, A. Resnais) – nehmen die Spannung zwischen Erlösungs- versus Extinktionsphantasien auf.
Untersucht wird, wie japanische Sichtweisen, die die Opferperspektive betonen (‚Strahlenkrankheit‘, gesundheitliche Langzeiteffekte bei Überlebenden und ihren Nachkommen, ‚Hibakusha‘), und kulturelle Phänomene coexistieren, die von der ästhetischen Faszination ob der ‚Erhabenheit destruktiver Schönheit‘ künden (z.B. Pilzwolkenbild, Bikinimode, ‚bombshell‘/‘atomic-cocktail‘-Rhetorik). An die Seite sichtbarer Massenvernichtung durch die ‚Superbombe‘ tritt die Unsichtbarkeit und Unermesslichkeit atomarer Strahlung. Trotz einer irreversiblen radioaktiven Verseuchung umfassender (Natur-)Räume durch intensive ‚Tests‘ sowie multipler nuklearer Unfälle und Super-GAUs in Atomkraftwerken auf internationaler Ebene scheint der illusionäre Optimismus, den Kernenergie ‚ausstrahlt‘, vielfach ungebrochen zu sein. Gefragt wird, wie Atomenergie als Wirtschafts- und Machtfaktor scheinbar über die Sorge um unkalkulierbare Risiken und die ‚Endlagerung‘ von Atommüll triumphiert und welche Ideen zu Atomausstieg und Energiewende dem entgegenzutreten suchen.
Ziel des Projektseminars ist ein physisches (papiernes) Kartographieren des vielarmigen 'Atomwissens' in zeitlicher und räumlicher Dimensionierung. Durch Arbeitsstrategien wie Mindmapping und Clustering, Bebildern und Schematisieren, Externalisieren und Plastischmachen soll nicht nur der komplexe Transfer von Wissenspartikeln entlang der untersuchten Quellen abbildbar gemacht werden. Darüber hinaus wird durch diese Visualisierungstechniken Wissen in seinen historischen Kontexten und 'Situiertheiten' sowie politischen Machtfeldern und geschlechtertechnischen Verflechtungen begreifbar und kritisierbar. |