Kommentar |
Paris war über Jahrhunderte nicht nur das repräsentative, meist auch politische Zentrum Frankeichs. Die Stadt war auch ein Sehnsuchtsort der (Bildungs-)bürger europaweit. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert blickten die eleganten, gebildeten, künstlerischen und mondänen Schichten anderer Länder neidvoll oder sehnsüchtig auf diese Kapitale Europas. Im 19. Jahrhundert und darüber hinaus wurde Paris von auswärtigen Betrachtern, aber auch von Akteuren in der Stadt als die Metropole reflektiert, in der paradigmatische Umbrüche der Moderne zuerst sichtbar werden – begonnen mit der Revolution von 1789, deren topische Szenen (etwa Bastillesturm, Barrikadenkämpfe) ja Stadtbilder sind. Laufend schienen aus dem dichten künstlerischen Leben der Stadt, aus seinen sagenumwobenen Bohèmes neue künstlerische Stile und Bewegungen der Moderne zu entstehen. Die sozialen, künstlerischen und politischen Umbrüche manifestierten sich dabei immer wieder im urbanen Raum selbst, in Architektur und Stadtentwicklung (man denke etwa an die gewaltigen Umbauten unter Haussmann nach 1850). Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieb die Stadt der Ort, auf den man blickte, um die entscheidenden politischen und kulturellen Tendenzen der Gegenwart zu beobachten – in den hier entstehenden Künsten und Kunstrichtungen, den politischen und sozialen Entwicklungen, den Institutionen und Orten (Börse, Kaufhaus, Passagen, Weltausstellungen, aber auch die sozial kontrovers diskutierten Banlieues) und den architektonischen sowie urbanistischen Formen, die sie ausprägten. Die eigene Zeit mit dem Blick auf Paris verstehen zu wollen – dies Prinzip besteht letztlich bis heute fort, wie neue Wohnungsbauprojekte und deren internationale gesellschaftliche wie mediale Reflektion zeigen. Paris erscheint von daher bis in unsere Gegenwart hinein als Seismograph wie auch als Labor der Moderne. Das SE will an ausgewählten Beispielen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nachvollziehen, wie die Stadt immer wieder als paradigmatischer Ort der Moderne reflektiert wurde und wird. Dies soll vor allem an fiktionalen und theoretischen Texten aus verschiedenen historischen Konstellationen geschehen. Ein besonderer thematischer Akzent soll dabei auf der Frage liegen, wie Architektur und urbaner Raum als Ausprägungen von Modernität gedeutet werden. Mögliche Autoren/Texte/Themen sind: Heinrich Heine, Charles Baudelaire, Émile Zola, Eugène Atget, Weltausstellungen, Walter Benjamin, Louis Aragon, Jacques Derrida, Virginie Despentes. Das SE wird von Mark-Georg Dehrmann gemeinsam mit Dr. Alexander Gutzmer geleitet. Dieser hat verschiedene Bücher über die kulturelle Semiotik von Architekturen, urbanen Räumen und Orten geschrieben und ist Chefredakteur des Architekturmagazins Baumeister. |