Kommentar |
Die letzten drei Jahrzehnte seit der Entscheidung für den Europäischen Binnenmarkt gingen nicht nur mit der Zunahme und Vertiefung von Zuständigkeiten und Kompetenzen der EU einher. Sie markieren auch eine zunehmende innenpolitische Aufladung des EU-Themas in den Mitgliedstaaten und in geringerem Maße auch auf der supranationalen Ebene. Vor diesem Hintergrund steht die Auseinandersetzung mit der EU als „policy making state“ (Richardson 2012) im Mittelpunkt des Projektseminars „Europapolitik als europäische Innenpolitik. Herausforderungen, Bedingungen und Leistungen“. Dabei wird die EU vor allem als Funktionsgebilde zur Vorbereitung, Durchführung und Umsetzung politischer Entscheidungen begriffen in Politikfeldern, die bis zu ihrer Integration in die EU Gegenstände staatlicher Innenpolitik der Mitgliedstaaten waren. Sowohl die Art der Herstellung ebenso wie die Ergebnisse und damit auch die Leistungs- und Rechtfertigungsfähigkeit europäischer Politiken im Mehrebenensystem der EU wollen wir in dem Kurs in ihrer Entwicklung politikwissenschaftlich beschreiben und analysieren. Dabei wollen wir auch der Frage nachgehen, aus welchen Gründen bestimmte Politiken Gegenstand europäischer Regulierung und Programmierung wurden. Eine Grundthese des Kurskonzepts ist, dass die EU in Zeiten zunehmender externer Schocks nicht nur hinsichtlich der Bedingungen ihrer output-Legitimität (Scharpf 1999) sondern auch hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer throughput-Legitimität (Schmidt 2012) gefordert ist. Hier könnten auch wichtige Ansatzpunkte für eine Überwindung der in den Mitgliedstaaten schwächer werdenden Unterstützung der EU zu finden sein. Im Vordergrund steht damit einmal weniger die institutionen- und demokratietheoretisch motivierte Auseinandersetzung mit der EU als Gebilde sui generis und ihre Kritik als exekutiv dominiertes Governance Arrangement mit schwacher input-Legitimität und dünnem Identifikationsangebot. Vielmehr soll in dem Kurs die analytische Aufgabe verfolgt werden, die innenpolitisch für alle ihre Bürger/innen bedeutsame Staatstätigkeit der EU auf die Voraussetzungen ihrer Kompetenzentwicklung, auf typische Entscheidungs- und Umsetzungsverfahren und insbesondere auf Probleme ihrer Ergebnisse und Leistungen hin zu untersuchen und gegebenenfalls zu kritisieren. Hierbei wird es nötig sein, neben EU zentrierten Policy-Analysen auch auf Forschungsergebnisse empirisch vergleichender (National-) Staatstätigkeits- und Policy-Forschung im Kontext des europäischen Mehrebenensystems zurückzugreifen.
Die im zweiten Semester des Kurses zu entwickelnden Projektseminarkonzepte sollen dazu einen ersten eigenen Forschungsbeitrag leisten. Im zweiten Semester sind neben der Auseinandersetzung mit einer für die Arbeiten geeigneten Forschungsmethodik auch einige Praktiker/innengespräche zu ausgewählten Politikfeldern europäischer Staatstätigkeit geplant. |