Kommentar |
Wie unterschiedlich auch immer die Sprache in der europäischen Denkgeschichte definiert wurde, man hat sie immer von einem gewissen Fehlen oder Mangel her gedacht bzw. erfahren. Zeichen stehen für etwas, was sie selbst nicht sind; sie ersetzen, vertreten, repräsentieren oder mimen, was ihnen fehlt: die sinnliche Gewissheit und die Präsenz des Bezeichneten, ein idealer Zustand der sich selbst genügenden Vollständigkeit, in dem der Prozess der Substitution sein Ziel erreicht. Es scheint aber unmöglich, diesen ursprünglichen Mangel, der den Mensch als „Mängelwesen“, die Sprache als Ersatz sowie das „unglückliche Bewusstsein“ konstituiert, dauerhaft auszugleichen. Kulturelle Praktiken lassen sich vielmehr als ökonomische Mittel betrachten, die dazu dienen, mit dem Fehlen eines Zentrums und der inneren Leere umzugehen, diese vorübergehend zu vergessen (den Mangel entweder durch Sinnlichkeit und Körperpraktiken oder durch Ideologien zu kompensieren) oder eben ihre Möglichkeiten (in der Idee der Bildung, der Entwicklung, der Produktion oder der Kunst) freizusetzen. Das Verhältnis zu diesem unaufhebbaren Mangel hat sowohl geschichtliche als auch kulturelle bzw. gesellschaftliche Dimensionen. Seine Artikulation ist nie neutral: es äußert sich in unterschiedlichen Symptomen wie Trauer, Verlust, Verzicht, Wut und Frustration oder eben als Wunsch und Begehren.
Das Seminar versucht durch die Analyse philosophischer und literarischer Texte die geschichtlichen und strukturellen Veränderungen in der Artikulation und den Auswirkungen dieses Mangels zu verfolgen. |