Kommentar |
Was ist Zeit? Wie lässt sich die Zeit wahrnehmen? Was bedeutet es für ein Subjekt, die Zeit wahrzunehmen? Wie trägt die Zeitwahrnehmung zur Konstitution des Subjektes – genauer gesagt, das Zeitgefühl zur Entstehung eines Lebensgefühls – bei? Lassen sich eine bewusste und eine unbewusste Zeitwahrnehmung unterscheiden? Verfügt die Zeit über einen „objektiven“ Existenzmodus, der von einem wahrnehmenden Subjekt völlig unabhängig ist? In welchem Verhältnis stehen Zeitwahrnehmung und Gedächtnis- und Erinnerungsprozesse zueinander? Durch welche Abstraktionsstrategien kann die subjektive Erfahrung der Zeit zu den philosophischen und theologischen Bestimmungen von Begriffen wie „Ewigkeit“ und „Vergänglichkeit“ führen?
All diese Fragen stellen einen traditionellen Kernbereich der theoretischen Philosophie dar, mit dem sich phänomenologische, lebens- und existenzphilosophische Strömungen und Schlüsselfiguren der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts – wie Bergson, Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty – besonders intensiv beschäftigt haben. Viele dieser Denker – am deutlichsten ist der Fall von Heidegger – nehmen als Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen zur Zeitproblematik die Auseinandersetzungen mit dem Zeitbegriff, die im Rahmen der griechisch-römischen Philosophie entwickelt wurden. In diesem Seminar werden wir uns mit zwei der bedeutendsten Zeitauffassungen der antiken Philosophie beschäftigen, und zwar mit der Zeitauffassung von Plotinus, dem Begründer des „Neuplatonismus“, und mit der Zeitauffassung von Augustinus, dessen christliche Theologie stark von neuplatonischen Einflüssen geprägt ist, und dessen Meisterwerk, die Confessiones, ein ganzes Buch (das Buch XI) enthält, das der Zeitproblematik in all ihren theologischen und existentiellen Aspekten gewidmet ist.
Das Seminar wird stark diskussionsorientiert sein und setzt deshalb eine aktive Teilnahme voraus. Es wird erwartet, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe des Semesters zumindest ein Referat halten, und selbstverständlich sollen auch alle mit Fragen und Beiträgen regelmäßig zur Diskussion beitragen.
Die Kenntnis der griechischen und der lateinischen Sprache ist willkommen, aber nicht erforderlich. Wir werden die Texte in deutscher Übersetzung lesen, wobei wir auf den griechischen und lateinischen Text in systematischer Weise verweisen werden, um Kernbegriffe zu verdeutlichen und theoretisch relevante textuelle Schwierigkeiten bzw. Unklarheiten zur Sprache zu bringen. |