„Die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt, und die Vergangenheit deutet“. Mit diesem Ausspruch des Historikers und Publizisten Michael Stürmer zu Beginn der Ära Kohl in den frühen 1980er Jahren sollte eine „geistig-moralische Wende“ eingeleitet werden über Symbolpolitik und Identitätssuche. Die Kohl-Gegner sahen dahinter einen fragwürdigen Versuch des „Geschichtsrevisionismus“ im Kampf um ein Deutungsmonopol über die Vergangenheit.
Mit „Geschichtsrevisionismus“ ist eine ideologisch-erinnerungspolitisch motivierte Umdeutung der Geschichte – häufig mit verheerenden politischen Konsequenzen, wie die Nazi-Propaganda von den „Novemberverbrechern“ oder Erdogans Genozid-Leugnung gegenüber Armenien beweisen.
Wer beim symbolischen Umgang mit Geschichte „revisionistisch“ vorgeht, möchte in der Regel schönen oder verdrängen, relativieren oder verharmlosen. Wie dies auf unterschiedliche Weise in europäischen Ländern (und der Türkei) geschehen ist und noch geschieht, soll an einigen Beispielen aufgezeigt werden.
-Der langen Vichy-Verdrängung in Frankreich bis zu Präsident Chiracs Anerkennung der jüdischen Opfer von Deportationen;
-der Gründungslegende der zweiten Republik Österreichs vom „ersten Opfer Hitlers“ bis zur endlichen Übernahme der Verantwortung für die hochgradig repräsentierte NS-Mittäterschaft seiner Landsleute durch Kanzler Franz Vranitzky;
-dem Versuch in der Ära Berlusconi in Italien, den Resistenza-Mythos zu brechen;
-dem zyklisch wechselnden Umgang mit Stalins Verbrechen in Russ-land – vom XX. Parteitag der KPdSU 1956 bis zur abermaligen sieger-geschichtlichen Umgehung unter Putin;
-der Kriminalisierung der historischen Wahrheit in der Türkei über den im osmanischen Reich begangenen Völkermord an den Armeniern.
-Auch Beispiele aus Polen sollen hervorgehoben werden bis zu den hochaktuellen Streitigkeiten um ein neues Holocaust-Gesetz.
-Schließlich deutsche Geschichtsrevisionismen: Von der „Dolchstoß-legende“ (über die „Novemberverbrecher“ und „Erfüllungspolitiker“) der Nationalsozialisten, der Holocaust-Leugnung in rechtsextremen Milieus bis zu den Antifa-Mythen in der DDR. Außerdem der Historikerstreit 1986/87 und die Auseinandersetzungen um die „geistig-moralische Wende“ im Zeichen der Kanzlerschaft Helmut Kohls. |