Kommentar |
Die aktuelle Rede von der atomaren Gefahr regt eine historische Reflexion und das kulturelle Imaginäre an. Es scheint an der Zeit, die lange und verschlungene Wissensgeschichte der Atomforschung – zwischen der euphorischen Verheißung von Kernenergie und der Macht des Atomaren, der menschengemachten Vernichtungsbedrohung durch Nuklearwaffen – Revue passieren zu lassen. Das Seminar verfolgt, welche kulturhistorischen und ästhetischen Spuren „die Bombe“ als multipler Bedeutungsträger bis dato hinterlassen hat. Hierbei geraten kernphysikalische, kriegs- und globalpolitikgeschichtliche Aspekte ebenso ins Blickfeld wie medien-, wissenschafts- und populärgeschichtliche Verarbeitungen des Topos Atombombe, der eingeweihte wissenschaftliche Figuren, die Agenten der großen politischen Bühne (die ‚Supermächte‘) und die Öffentlichkeit vor allem seit dem Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki 1945 in Atem hält.
Um zu eruieren, welche Segmente der Wissensgeschichte des Atomaren für die Interpretation des heutigen politischen Klimas und seiner main player relevant sind, werden diverse multimediale kulturelle Artefakte untersucht. Neben theorie- und biographiegeschichtliche Schriften treten Wissensvermittlungen in Hörspielen und musealen Ausstellungen. Die Analyse von Quellen wie private und Pressephotographien wird flankiert von der Erkundung von Zeichentrick-, Spiel- und Dokumentarfilmen aus unterschiedlichen Jahrzehnten, die um omnipräsente Bilder von Atompilzen oder antizipierte Konsequenzen potentieller Atombombeneinsätze kreisen. Welche Formen von Wissenskommunikation, welche Narrative und Ikonographien, ersann beispielsweise der Trickfilmzeichner und Produzent Walt Disney, um die Geschichte der Erfindung von Our Friend the Atom (1957) wohn- und kinderzimmertauglich zu vermitteln? Welche Symbolsprache des ‚Kalten Kriegs‘ hallt in heutigen politischen Drohgebärden wider, die von internationalen Printmedien und in den Social Media aufgegriffen werden? Wie sahen zeitgenössische Kompensationsgesten gegen imaginierte Angstszenarien aus, denen etwa das US-amerikanische Kollektiv mit Verve zu folgen schien (‚Duck and Cover‘)? Welche Rolle spielten Wissenschaftler wie Albert Einstein, Heinz Haber oder Robert Oppenheimer im Gespann mit US-amerikanischen Politikern und in Spannung zur japanischen Politszene? Wie hängt die Geschichte der Atomtests mit der Bikini-Bademode und anderen Sexualisierungen der Bombe (bombshell) zusammen? Wie wurden und werden Erfahrungen menschlicher Verluste, von Verletzungen und Verseuchungen sowie atomare Unfälle in Kernreaktoren medial aufgearbeitet, erinnerungspolitisch gespeichert oder aber verschwiegen? |
Literatur |
- Heumann, Ina / Julia B. Köhne: „Imagination einer Freundschaft – Disneys Our Friend the Atom. Bomben, Geister und Atome im Jahr 1957.“ In: zeitgeschichte. Die österreichische Fachzeitschrift für Zeitgeschichtsforschung, Themenheft: „Verschiebungen. Analysen zum intermedialen, diskursiven und zeitlichen Transfer von Wissen“, Jg. 35, Heft 6 (2008), Innsbruck: Studienverlag (hg. Ina Heumann und Julia B. Köhne), S. 372–395 |