Kommentar |
Goethes Gestaltung der Figur Faust gilt in der Literaturgeschichte als kanonisches Schwergewicht. Prätexte, Nachdichtungen und Travestien umlagern den Motivkreis um den legendenumwobenen Doktor und seinen Pakt mit dem Teufel. Der Fauststoff ist jedoch mehr als ein Gefüge unterschiedlicher Text- und Überlieferungsstränge, er zeigt sich ebenso anschlussfähig für zahlreiche musikalische Verarbeitungen. So beginnt die kompositorische Beschäftigung mit dem Stoff Ende des 16. Jahrhunderts und hängt unmittelbar mit den Anfängen seiner literarischen Verschriftlichung zusammen: schon im Jahr nach dem Erscheinen des ersten umfangreichen Werkes zur Faust-Sage, der Historia von D. Johann Fausten (1587), werden Teile der Faust-Überlieferung in Meisterliedern vertont. Ein explizites Interesse an Faust-Vertonungen entwickelt sich im 19. Jahrhundert, wofür insbesondere die Kompositionen von Berlioz, Schumann, Wagner, Liszt und Gounod einstehen. Bildet im 19. Jahrhundert vor allem Goethes Faust I den Bezugspunkt, so werden die Textvorlagen im 20. Jahrhundert vielfältiger und mit ihnen auch die musikalischen Konzepte. Charakteristisch für Vertonungen des 20. Jahrhunderts sind die Bezugnahme auf das politische und soziokulturelle Zeitgeschehen sowie die Auseinandersetzung mit musikalischen Form-, Material- und Gattungsdiskursen. So legen beispielsweise Michel Butor und Henri Pousseur mit Votre Faust (1969) eine »variable Oper« vor, deren Handlungsfolge und musikalischer Fortgang vom Publikum mitbestimmt wird.
Gemeinsam geleitet von der Literaturwissenschaftlerin Constanze Baum und der Musikwissenschaftlerin Gabriele Groll wird sich das Seminar der intermedialen Beziehung von Literatur und Musik anhand verschiedener Faust-Texte und Vertonungen widmen. In vergleichenden Analysen werden ausgehend von Goethes Text und anderen Vorlagen - zu denken ist etwa an Werke von Klinger, Heine, Grabbe oder Thomas Mann - Kunstlieder, musiktheatralische und (vokal-) symphonische Werke wie auch Stücke aus der populären Musik einbezogen. Fausts Scheitern kennt auch Äquivalente im Werkschaffen: Nicht zuletzt deshalb sollen schließlich auch Fragmente und verworfene Kompositionsprojekte wie Hanns Eislers Libretto Johann Faustus die Affinität zum ‚Fall Faust’ bezeugen. |
Literatur |
Lorraine Byrne Bodley: Music in Goethe’s Faust – Goethe’s Faust in Music, Woodbridge 2017; Hans Joachim Kreutzer: Faust. Mythos und Musik, München 2003; Helmut Loos: »Die musikalische Verarbeitung von Faust-Texten im 19. Jahrhundert«, in: Helen Geyer/Michael Berg/Matthias Tischer (Hgg.): ›Denn in jenen Tönen lebt es‹. Festschrift Wolfgang Marggraf zum 65, Weimar 1999, 167–178; Andreas Meier: Faustlibretti. Geschichte des Fauststoffs auf der europäischen Musikbühne nebst einer lexikalischen Bibliographie der Faustvertonungen, Frankfurt a. M. 1990; Panja Mücke/ Christiane Wiesenfeldt (Hgg.): Faust im Wandel. Faust-Vertonungen vom 19. bis 21. Jahrhundert, Marburg 2014; Friederike Wißmann: Faust im Musiktheater des zwanzigsten Jahrhunderts, Berlin 2003. |