Kommentar |
Nie zuvor waren Bilder von Gesichtern in solchen Massen verfügbar wie heute. Dank allgegenwärtiger Kameras und digitaler Vernetzung zirkulieren von nahezu jeder beliebigen Person unzählige Bilder. Anders als ältere fotografische Porträts richten sich all diese Bildermassen aber nicht mehr allein an menschliche Betrachter*innen. Gesichtsbilder sind vielmehr zur wertvollen Datenressource geworden – für Polizei und Geheimdienste ebenso wie für Marktforschung und Internetkonzerne. Sie werden massenhaft in Datenbanken gespeichert, digital vermessen und verglichen, und immer avanciertere Algorithmen zielen darauf, aus ihnen Informationen über die Identität der Abgebildeten, deren Stimmungen und Emotionen, ja sogar ihre möglichen Intentionen abzuleiten.
Das Seminar fragt nach den bildhistorischen Anfängen und Vorläufern dieser aktuellen Entwicklungen. Denn schon seit dem späten 18. Jahrhundert lassen sich Bemühungen verzeichnen, aus Gesichtsbildern lesbare Daten zu isolieren und sie in systematische Operationen des Vergleichs einzubetten. Sie reichen von der Physiognomik Johann Caspar Lavaters über die erkennungsdienstlichen Identifizierungsverfahren des 19. Jahrhunderts bis zu heutigen Techniken elektronischer Gesichtserkennung. Anhand dieser und anderer Beispiele fragt das Seminar nach den epistemischen und kulturellen Voraussetzungen aktueller digitaler Bildpraxis. |