Kommentar |
Die Krakauer Gruppe wurde im Jahr 1948 gegründet. Ihre Mitglieder – visuelle Künstlerinnen und Künster Tadeusz Kantor, Maria Jarema, Jerzy Nowosielski, Jonasz Stern und Marian Szulc, Kunstkritiker, u.A. Mieczysław Porębski und Dichter, etwa Tadeusz Różewicz – etablierten sich schnell im Zentrum der polnischen Kunst, Theorie und Dichtung. Die Idee, um welche sich diese Konstellation an Leuten gruppierte, wurde von Kantor und Porębski als der realizm spotęgowany, der potenzierte Realismus, ausgerufen. Diese Art des Realismus antwortete auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, der, so die Künstler und Dichter der Krakauer Gruppe, dem großen Experiment der abstrakten Kunst und des Konstruktivismus den Boden wegzog. Der neue Realismus, der den Konstruktivismus zu überwinden versuchte, soll eher die Erfahrung des Einzelnen als die großen Utopien vermitteln, die zur Bedrohung für die Menschheit geworden sind. Bald, schon 1949, musste er aber dem staatsgeförderten Sozialistischen Realismus sowjetischen Ursprungs weichen. Die Vormachtstellung des Sozialistischen Realismus wurde zu einer weiteren negativen Grunderfahrung für die Künstler, Dichter und Theoretiker der Krakauer Gruppe. Erst nach der Tauwetterphase konnten sie ihrer Suche nach einem neuen Realismus nachgehen, der simultan mit und beeinflusst vom Nouveau Réalisme, der Pop-Art und der Konzeptkunst war. Die Beziehungen der Krakauer Gruppe zu diesen transnationalen und multimedialen Bewegungen gilt es im Rahmen des Seminars zu erschließen.
Darüber hinaus stellt das Seminar die polnische Kultur, für die Krakauer Gruppe von zentraler Bedeutung war, als eine einzigartige Transferkultur dar, in der verschiedene (deutsche, jüdische, russische, ruthenische und andere) Traditionen miteinander interagieren. Der Fokus liegt auf den Dichter Tadeusz Różewicz, den Maler, Performance-Künstler, Dramatiker und Regisseur Tadeusz Kantor, den Kunsthistoriker und Kultursemiotiker Mieczysław Porębski und den Maler und Philosoph der Malerei, vor allem der orthodoxen Ikonographie Jerzy Nowosielski. Jeder der Protagonisten steht für die Beziehung zu einer Kultur, die einen enormen Einfluss auf die polnische gehabt hat. Tadeusz Różewicz tritt schon sehr früh in den Dialog mit der deutschen Kultur; Tadeusz Kantor widmete den wichtigen Teil seines theatralischen Werks der verschwundenen Welt polnischer bzw. galizischer Juden; Mieczysław Porębski diskutierte als Semiotiker mit der Tartu-Schule und schrieb ausführlich über die Ikone und die ‚Ikonosphäre‘ (vgl. Vernadskijs ‚Noosphäre‘ und Lotmans ‚Semiosphäre‘), während Jerzy Nowosielski zwischen der unitischen (griechisch-katholischen) Tradition der Ikonenmalerei und der säkularen Dingwelt oszillierte.
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