Die Historiographie war lange Zeit allzusehr an politischen Ereignissen und Schlachten orientiert. Dabei übertreffen die Zahlen von Seuchentoten oftmals die Schlachtenopfer. Schon daran ist erkennbar, dass die Seuchen stark in die europäischen Gesellschaften eingriffen. Auch hatte der Tod von Hegel oder Gneisenau Auswirkungen von der Philosophie bis zur Politik. Die Seuchen gelten als „demokratische Krankheiten“, weil sie Menschen unabhängig ihres sozialen Status dahinrafften. Allerdings waren nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen. Schon weil einzelne Personen und Gruppen in besonderer Weise als gefährdet oder gefährlich galten, trugen diese Krankheiten dazu bei, die Gesellschaftshierarchien neu zu strukturieren – was alles andere als konfliktfrei vonstatten ging: Ängste konnten Gewalthandeln auslösen.
Dabei waren die Grenzziehungen abhängig von Deutungsmustern, mit denen man sich zeitgenössisch den Ausbruch und Verlauf der Krankheiten erklärte. Religion, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik konkurrierten bei der Erklärung und Bewältigung der Folgen. Je nachdem, ob man die Krankheit als göttliche Strafe, als Folge von Ansteckung oder Miasmen, als Werk von Brunnenvergiftern oder medizinischem Experimentiereifer interpretierte, wurden unterschiedliche Maßnahmen gefordert und Grenzen gezogen.
Das Seminar wird nachvollziehen, welche Ängste Krankheiten wie Cholera, Syphilis oder die Pocken auslösten, wie die Gesellschaften, die Wissenschaft und Politik darauf reagierten und welche konkreten Maßnahmen ergriffen wurden, um die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren. Anhand der Debatten und Konflikte werden Knotenpunkte der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts sichtbar und können besser begriffen werden.
In den Blocksitzungen am 18./19. Januar werden einzelne Beispiele behandelt.
In der Blocksitzung am 17. November werden zentrale Texte und Quellen der Seuchengeschichte gelesen und diskutiert; damit die verbindliche vorbereitende Textlektüre sichergestellt werden kann, ist es erforderlich, dass sich die Interessenten persönlich (birgit.aschmann@hu-berlin.de) anmelden! |