Kommentar |
Kulturprägend und politisch wirkmächtig, krisengeschüttelt, schlecht finanziert und um Daseinsberechtigung ringend – so werden Geisteswissenschaften heute oft beschrieben. Was dabei leicht aus dem Blick gerät, sind die applied humanities, in denen Theorie, Praxis und Anwendung gleichermaßen angesprochen wurden. Während der Begriff applied science einem gängigen alltags- und forschungspolitischen Vokabular entstammt, erweisen sich die applied humanities als sperriger. Was sollten auch „angewandte Geisteswissenschaften“ sein? Das kulturwissenschaftlich und wissenschaftshistorisch ausgerichtete Seminar versucht diese Frage zu beantworten und den aufgeworfenen Unterschied historisch zurückzuverfolgen. Dabei soll deutlich werden, dass die Diskussion um die „Zwei Kulturen“ allein nicht zielführend ist; und ebenso wenig genügt der Blick auf Bildungsprogramme des Angewandten aus den 1950er und 1960er Jahren, als der Begriff der applied humanities im anglo-amerikanischen Raum verstärkt Verwendung findet. „Anwendungswissen“ – so wird sich zeigen – ist nicht erst eine kybernetisch inspirierte Problemlösungsvokabel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern reicht weit in die Entstehungszeit der wissenschaftlichen Disziplinen zurück. Denn enge Bezüge bestehen etwa zwischen Geschichtswissenschaft, Sammlung und Archiv, zwischen Kunstgeschichte, Kunstschaffenden und Kunstgewerbe oder zwischen Psychologie, Sprachwissenschaft und Berufseignungswesen. Das Seminar widmet sich dem historisch variablen Verhältnis von geisteswissenschaftlicher Theorie und Praxis und versucht sich an einer Neukonturierung der Anwendungsfelder von Geisteswissen hinsichtlich zeitlicher, materialer wie medialer, sozialer und politischer Definitionen.
Das Seminar ist verbunden mit dem Besuch der zweitägigen Tagung „Betwixt and Between: Sound in the Humanities and Sciences“, die vom 15. bis 16. Februar 2018 am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin stattfindet. |