Kommentar |
Zentrale Motivkomplexe aus der südslavischen Folklore, das Kosovo-Drama, der Hajduken-Mythos oder die Figur Marko Kraljevićs, verlängerten ihre mythopoetische Wirksamkeit bis weit ins 20. und 21. Jahrhundert hinein, wurden zu Identifikationsplattformen für Fussballvereine, für Kampftrupps in den jugoslavischen Sezessionskriegen oder lieferten zentrale Ideologeme für tagespolitische Auseinandersetzungen in den plurikulturellen Regionen der jugoslavischen Nachfolgestaaten. Was heute vielleicht erstaunen mag, hat einen konkreten Anfang: Die Nationalisierung der Folklore im 19. Jahrhundert. Das BA-Seminar geht in einem ersten Schritt den Beständen der südslavischen Heldenlieder nach, wie sie sich im Moment ihrer Kanonisierung auffinden liessen, ihren Themen, Formen, performativen Kontexten sowie ihrer transnationalen Verbreitung. In einem zweiten Schritt beleuchten wir die Prozesse der Kanonisierung und der relativ zeitgleich stattfindenden Nationalisierung dieser Lieder, um aus dieser Perspektive einzelne Schlaglichter auf die Art und Weise ihrer Funktionalisierung in den Werken der romantischen ‚Nationaldichter’ (z.B. Petar II. Petrović Njegoš, Ivan Mažuranić, France Prešeren, Branko Radičević, August Šenoa oder Laza Kostić) zu werfen, sowie auf ihr (nationalisierendes) Fortexistieren in den Krisen- und Konfliktsituationen unserer Gegenwart. Nicht zuletzt soll damit auch die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer nationalen (An)Ordnung von Literatur (bzw. Kultur) thematisiert werden. |