Kommentar |
In seinem zweiten großen Geschichtswerk (neben den Historien) behandelt Tacitus die Zeit vom Tod des Augustus und dem Regierungsantritt des Tiberius bis (wahrscheinlich) zum Tod Neros. Das Werk ist der Höhepunkt der römischen Annalistik und der senatorischen Geschichtsschreibung. Auch wenn Tacitus in seinem Werk nach eigenen Worten eine objektive Beschreibung ohne Parteilichkeit anstrebt, so ist er dennoch teilweise sehr parteiisch, denn Tacitus hing offenbar immer noch dem alten Ideal einer res publica libera an und kritisierte das Kaisertum ganz generell. Seine Bewunderung galt dem alten republikanischen Rom, wenngleich er sich nicht der Illusion hingab, dass die Republik wiederherzustellen sei, zumal das Prinzipat auch dem Chaos der Bürgerkriege ein Ende bereitete, was Tacitus sehr wohl anerkannte. Generell ist das Geschichtsbild dennoch von einem recht starken Pessimismus geprägt, wobei er den Sittenverfall seiner Zeit und den Verlust der Freiheit beklagt, die in der Republik freilich nur einer Minderheit vergönnt war. Im Seminar werden wir die Kernaspekte der Geschichtsauffassung und der politischen Ideologie sowie auch des literarischen Stiles des Tacitus betrachten mit besonderem Bezug auf die Bücher XIII-XVI – die sogenannten Nerobücher. In diesen Büchern schildert Tacitus die Parabel eines Kaisers, dessen Herrschaftsjahre unter günstigen Auspizien anfingen und die sich bald als einige der gewaltsamsten und grausamsten Jahre der römischen Kaiserzeit offenbarten.
Literatur: Erich Koestermann (Hrsg.): P. Cornelii Taciti libri qui supersunt. Tom. 1, Fasc. 2: Libri ab excessu Divi Augusti XI−XVI. Leipzig 1936. Neubearbeitung, Leipzig 1960. Zweite Auflage, Leipzig 1965; Erich Koestermann: Tacitus / Annalen. Vier Bände, Heidelberg 1963–1968; R. H. Martin: Structure and Interpretation in the Annals of Tacitus. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Bd. II.33.2. Berlin-New York 1990, S. 1500–1581; Francesca Santoro L'Hoir: Tragedy, Rhetoric and the Historiography of Tacitus’ Annales. University of Michigan Press, Ann Arbor 2006; Stephan Schmal: Tacitus. Olms, Hildesheim 2005 |