Kommentar |
Zeit seines Lebens unternahm der deutsche Dichter Peter Huchel (1903–1981) mehrere Reisen nach Süd‑ und Osteuropa, von Polen und Tschechien über Russland und Bulgarien bis nach Anatolien und Armenien. Er war als Wehrmachtsoldat in sowjetischer Gefangenschaft, arbeitete als Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form“ mit zahlreichen slavischen Autoren, gab mehrere Materialien zur Kultur‑ und Literaturgeschichte Osteuropas heraus, war befreundet mit vielen osteuropäischen Schriftstellern und Slavisten. Diese Begegnungen Huchels mit dem Osten liefern eine biographische Folie für seine eigentliche, poetische Beschäftigung mit Osteuropa, die sich durch sein ganzes Werk zieht: von den mythischen „wendischen Weidenmüttern“ über erloschene Spuren und Schatten slavischer Mägde, polnischer Landstreicher und ruthenischer Saisonarbeiter in der Mark bis zu diversen vagabundierenden Pariagestalten im von Krieg und Zeit verwüsteten Ost‑ und Südeuropa. Anspielungen auf halbvergessene Sujets der Geschichte und Sagenwelt des Ostens, bis zur Nestorchronik, sind ebenfalls untrennbare intertextuelle und interkulturelle Bestandteile seiner Dichtung. In unserem Seminar gehen wir Huchels Figurationen des Ostens nach, in denen Deutschland mit polnischen, böhmischen, russischen, balkanisch-thrakischen und nicht zuletzt mesopotamischen Räumen zu einer allegorischen nature-morte-Urlandschaft amalgamiert wird. In Huchels gnadenloser Geo-Thanatopoetik ultimativer (Selbst‑)Isolation finden private und historische Schicksale von Ost und West, Mythos und Mensch, Tier und Ding ihre letzte elegische (Un‑)Ruhe. |