In dem an Absolvent*innen des Modul 1 (Grundkurs und Literaturgeschichte) gerichteten Seminar setzen die Studierenden sich mit einem Schlüsselthema der russischen Literatur auseinander: dem Thema der Verbannung.
Als eine der wichtigsten Strafpraktiken des russischen Staates im Umgang mit kritischen Intellektuellen war Verbannung nicht nur über Jahrhunderte hinweg ein wichtigser Faktor in den Biographien bedeutender Intellektueller. Viele Verbannte machten die einschneidende Erfahrung der Verbannung, des kulturellen Ausschlusses und der jahrelangen Versetzung an entlegene Orte auch zum Gegenstand literarischer Darstellung und Reflexion.
Im Seminar gehen wir der Frage nach, wie, zu welchem Zweck und mit welchen Effekten Verbannung in kanonischen Texten der russischen Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert thematisiert und dargestellt wurde, und warum dieses Thema als Schlüsselthema für die russische Literatur insgesamt angesehen werden kann.
Im Zuge der Bearbeitung dieser Fragen wird das narratologische, raum-, exil- und traumatheoretische Instrumentarium der Literaturwissenschaft vorgestellt und Begriffe wie Basisnarrativ, Chronotopos, Heterotopie, Liminalität, displacedness, Trauma u.a. in der praktischen Analyse von Texten von Avvakum über Ryleev, Herzen, Dostoevskij, Nekrasov, Tolstoj bis Solženicyn und Šalamov erprobt.
Das Seminar richtet sich an Studierende der russischen Literatur. Fortgeschrittene Sprachkenntnisse werden nicht vorausgesetzt.
Als vorbereitende Lektüre empfehle ich: F.M. Dostoevskij, Aufzeichnungen aus einem Totenhaus und V. Šalamov, Erzählungen von der Kolyma. |