Kommentar |
Wie sieht der Sprung vom lebenden zum toten und vom verstorbenen zum wiedererweckten Tier aus kulturwissenschaftlicher und epistemologischer Perspektive aus? Wie gestaltet sich das Lebensende der Tiere und wie leben einige Tiere weiter? — Tiere sterben krankheits- oder altersbedingt, sie werden erschossen, geschlachtet, eingeschläfert, geopfert, ausgerottet oder sterben aus. Im Anschluss werden sie beerdigt, verbrannt, seziert oder aber ihre Leichen werden kulturell weiterverarbeitet. Unter welchen Umständen und wie werden verstorbene Tiere ins kulturelle Leben zurückgeholt, und wie wird der Übergang vom toten zum artifiziell verlebendigten Tier dabei vergessen gemacht oder verdrängt? Wie lässt sich das vielfältige posthume Nachleben von Tieren aus kulturhistorischer Perspektive beschreiben? In welchen Kontexten und mit welchen Motivationen und Effekten werden Tierkadaver aufbereitet, präpariert und zu Ausstellungsobjekten erhoben, in aufwendige Begräbnisrituale involviert, medizinisch, pharmazeutisch oder kosmetisch weiterverwertet, zu Modezwecken umfunktioniert oder zu Nahrungsmitteln erklärt, etc.? Mittels welcher Kulturtechniken sowie Denk- und Transsubstantiationsleistungen gelingt die Transformation von der unansehnlichen Tierleiche zum wohl präsentierten, ‚biodiversen‘ musealen Schauobjekt, zum Gruselfaktor in Horrorfilmen, zum modischen Pelz oder zum appetitanregenden Fleischgericht? Und: Wie verändert sich der tierontologische Status im Moment des Sterbens/Versterbens? Verfällt die den Tieren attestierte Menschenähnlichkeit im Moment des Todes oder wird sie potenziert? Mit welchen soziokulturellen Valenzen und politischen Funktionen wird das ‚zweite Leben‘ der Tiere aufgeladen? Warum ist der Blick in die starren Glasaugen präparierter geliebter Tiere nur schwer auszuhalten (Beispiel: Knut, der Eisbär)? Was verrät der Umgang mit dem Tiertod und die Liebe zum toten Tier über die jeweilige Kultur und Gesellschaft?
Die internationale und crossdisziplinäre Ringvorlesung fokussiert auf Wissenschaften, Kontexte und Praktiken, in deren Rahmen die Aufbereitung und kulturelle Arbeit an toten Tiere eine Bedeutung erlangen. Sie spürt den unterschiedlichen Spielarten des Nachlebens der Tiere im und außerhalb europäischer Kulturräume nach und überschreitet dabei disziplinäre Grenzen. Zur Analyse eingeladen sind Expert/innen aus praxisnahen Feldern wie der Tiermalerei und Tierpräparation im Ausstellungswesen sowie der Veterinärmedizin und Tieranatomie. Sie treffen auf Vertreter/innen der Kultur-, Kunst- und Literaturwissenschaft, der Bild-, Film- und Medienwissenschaft sowie der Wissenschaftsgeschichte, Biologie und den Dead Animal Studies. |
Literatur |
DeMello, Margo (Hg.) (2016): Mourning Animals: Rituals and Practices Surrounding Animal Death. East Lansing: Michigan State University Press.
Eskildsen, Ute/Hans J. Lechtreck (Hg.) (2005): Nützlich, süss und museal – Das fotografierte Tier. Museum Folkwang, Göttingen: Steidl.
Lange-Berndt, Petra (2009): Animal Art: Präparierte Tiere in der Kunst, 1850-2000. München: S. Schneider.
Macho, Thomas (1997): „Der Aufstand der Haustiere“, in: Marina Fischer-Kowalski et al: Gesellschaftlicher Stoffwechsel und Kolonisierung von Natur. Ein Versuch in Sozialer Ökologie. Amsterdam: Gordon & Breach Verlag Facultas, 177-200.
Ullrich, Jessica/Antonia Ulrich (Hg.) (2014, Mai): „Tier und Tod“, in: Tierstudien. |