Kommentar |
Sozialer Wohnungsbau in reformerischer Absicht nahm in Mittel- und Osteuropa seit 1900 und besonders in den 1920er Jahren höchst vielfältige Formen an: von Hochhäusern mit Kleinstwohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen zum „kollektiven Wohnen“ über Siedlungen mit Einfamilienhäusern und Gemüsegärten bis hin zu den palastartigen Anlagen des sog. „Roten Wien“. Die architektonischen Formulierungen reichen von historischen Reminiszenzen über Heimatstile und Sachlichkeit bis hin zu radikal technoiden Lösungen. Das alles hat viel mit Architektur und den künstlerischen Orientierungsdebatten im Zeitalter der Moderne zu tun – aber auch mit der initiativen Rolle, welche Architekten beim „Ordnen“ der Gesellschaft und der Definition ethischer Werte beanspruchten. Mehr als auf anderen Aufgabengebieten des Bauens kamen der Architektur im Wohnungsbau für Bedürftige mediale Qualitäten zu. Es wird also im Seminar darum gehen, über die Analyse und Kontextualisierung von Fallbeispielen die Vorstellungen von angemessener Wohnqualität für eine bestimmte Gesellschaftsschicht nachzuvollziehen, aber auch die ästhetischen, sozialen und kulturellen Wertvorstellungen, die an architektonische Formen geknüpft wurden, und die Mechanismen dieser Bedeutungszuschreibungen.
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Literatur |
Literatur zum Einstieg: Kähler, Gert (Hg.): Geschichte des Wohnens, Bd. 4: 1918–1945. Reform – Reaktion – Zerstörung. Stuttgart (1996) 2000; Rodríguez-Lores, Juan/Fehl, Gerhard (Hg.): Die Kleinwohnungsfrage. Zu den Ursprüngen des sozialen Wohnungsbaus in Europa. Hamburg 1987; Damus, Martin: Architekturform und Gesellschaftsform. Architektur und Städtebau unter dem Einfluss von Industrialisierung, Großvergesellschaftung und Globalisierung 1890–1945. Berlin 2010; Blau, Eve: Rotes Wien. Architektur 1919–1934. Stadt – Raum – Politik. Wien 2014. |