Kommentar |
Varlam Šalamov (1907-1982) ist erst in den letzten beiden Jahrzehnten ins Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Der Name des Autors, der mehr als 17 Jahr am „Pol der Grausamkeit“ des sowjetischen GULag, in der Region der Kolyma verbringen musste, blieb lange im Schatten Aleksandr Solženicyns. Zu Lebzeiten Šalamovs konnte sein Hauptwerk, die „Kolymskie rasskazy“ („Erzählungen aus Kolyma“), weder in der Sowjetunion noch im Westen vollständig erscheinen. Heute ist sein Prosawerk aus den internationalen Diskussionen um die Frage, ob ‚nach Auschwitz‘ und ‚nach dem GULag‘ ein literarisches Schreiben überhaupt möglich sei, nicht mehr wegzudenken. Die poetische Dichte, Vielschichtigkeit und der lakonische Grundton der mehr als 150 „Erzählungen aus Kolyma“ geben Šalamov, der seine Herkunft aus der russischen Moderne und die produktive Spannung zur literarischen Avantgarde nie verhehlte, als eine der eigenwilligsten literarischen Stimmen in der Literatur des 20. Jahrhunderts zu erkennen.
Das Seminar bietet die Möglichkeit, die Poetik von Šalamovs Prosa unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, wie u.a. Dokument und Fiktion; Literatur und Zeugenschaft; Körper und Gedächtnis. Zu fragen ist auch danach, welche Impulse von Šalamovs Oeuvre für die aktuellen literatur- und kulturwissenschaftlichen Debatten über Lager und Homo sacer (G. Agamben) ausgehen?
Als Vorbereitung auf das Seminar wird die Lektüre des ersten Zyklus der „Kolymskie rasskazy“ (dt. in dem Band „Durch den Schnee“) sowie der Erzählungen „Sentencija“ („Sentenz“), „Voskrešenie listvennicy“ („Die Auferweckung der Lärche“), „Perčatka“ („Der Handschuh“) und seines Essays „O proze“ („Über Prosa“) empfohlen. |