Kommentar |
Pavel Kohout tötet im Protektorat-Prag und Marek Krajewski lässt im Nazi-Breslau sterben. Aleksandra Marinina und Edo Popović ermorden im Moskau und Zagreb der Nachwendezeit. Auch für Ostmitteleuropa gilt das, was der britische Autor Gilbert Keith Chesterton bereits Anfang des 20. Jahrhunderts über den Krimi behauptete: „A rude, popular literature of the romantic possibilities of the modern city was bound to arise.“ Die Stadt ist für den Krimi häufig mehr als eine Kulisse – sie ist der Ausgangspunkt. Krimis sind die literarische Antwort auf die Entstehung der modernen Stadt und auf die Anregungen, die das Urbane für die Imagination mit sich bringt. Einer der größten Impulse des Krimis besteht in der Botschaft, die Zivilisation sei kein normaler Zustand für den Menschen, sondern ein zerbrechlicher Gewinn. Der Krimi erinnert den Menschen daran, dass er „in einem Militärlager lebt und Krieg mit einer chaotischen Welt führt“ (Chesterton). Die Beziehung zwischen Krimi-Genre und chaotischer Stadtwelt ist in der ost- und ostmitteleuropäischen Literatur nach 1989 ausgeprägt. In ihnen geht es um Verbrechen aus der Vergangenheit, z.B. dem Zweiten Weltkrieg wie bei Kohout und Krajewski, aber auch aus der postsozialistischen Gegenwart, z.B. bei Marinina und Popović. Prag, Breslau, Moskau und Zagreb werden in der zeitgenössischen Kriminalliteratur nicht nur als historische und politische Stätten, sondern auch als spannende Handlungsorte repräsentiert, zumal Krimi und Tourismus heutzutage eng verbunden sind: Der Tourist geht in den Urlaub mit Stadtführer und Stadtkrimi. Das Seminar wird anhand der Geschichte und Struktur des Krimigenres die Frage nach dem Verhältnis zwischen Unterhaltung, Kritik und Engagement sowie zwischen Populär- und Hochkultur stellen. Es werden dabei jeweils ein Roman der zeitgenössischen Autoren Kohout, Krajewski, Marinina und Popović analysiert.
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