Kommentar |
Menschliches Blut ist kulturgeschichtlich betrachtet ein „ganz besonderer Saft“, der nicht aufhört zu fließen – real und symbolisch. Er zirkuliert in lebenden Körpern sowie in literarischen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen und cineastischen Texten, Bildern und Diskursen. Kaum eine andere (Körper-)Flüssigkeit wurde so häufig und phantasievoll inszeniert – in allen Formen und Rotschattierungen und mit einer solch großen ikonographischen und semiologischen Spannweite. Blut hat durch seine auffällige Farbe nicht nur Spektakularitätswert, sondern ist auch symbolisch-dramaturgisch äußerst beweglich. Der „Fluss des Lebens“ ist vieldeutig, denn er kann – wie bei der Menstruation, gespendetem oder künstlichem Blut – den Lebensanfang und seine Kontinuität oder aber das Lebensende markieren. Blut kann im Kampf vergossen werden und erstarren, es kann den Körper pathologisieren (Syphilis, HIV), exkommunizieren (Hymen-Blutfleck), kriminalisieren (Blutrache, Forensik) oder stigmatisieren (Wundmale Christi). Es kann ihn sakral aufladen und transzendieren (Märtyrer- und Heldenblut, Duell), in eine genealogische Linie einordnen (Abstammung, Blutsbruderschaft, Genetik), ihn authentisieren, sexualisieren oder horrorfizieren (Filmblut, Vampirtopos). Dabei verläuft die kulturelle Codierung des Blutes widersprüchlich, wie sich beispielsweise in der Bewertung von ‚weiblichem‘ gleich irdisch-materiellem, unreinem versus ‚männlichem‘ gleich spirituellem, heroischem Blut zeigt.
Das Seminar folgt den diskursiven ‚Blutspuren‘ innerhalb und außerhalb des individuellen und kollektiven Körpers entlang kultur-, kunst- und medizinhistorischer, wissenschaftsgeschichtlicher, literarischer, religionswissenschaftlicher, philosophischer und filmischer Texte (u. a. von Chr. von Braun, B. Creed, G. Didi-Huberman, J. van Dijck, R. Fleischer, S. Gilman, D. Haraway, F. A. Kittler, J. Kristeva, L. Nilsson, Ph. Sarasin, G. Seeßlen, B. Vinken, C. Walker Bynum). Hierbei wird erkundet, welche Wirkmacht dem Wissensobjekt und kulturellen Marker Blut im Hinblick auf die Konstitution von Subjekten, Kollektiven und Geschlechtern zukommt.
Ziel ist es, am Ende des Semesters eine phänomenologische Sammlung von Blutbildern anzulegen, die nach ihren historischen, kulturellen, symbolischen und epistemologischen Aufladungen eingeordnet, analysiert und interpretiert werden. |
Literatur |
Bradburne, James M.: Blut. Kunst, Macht, Politik, Pathologie. Katalog zur Ausstellung in Frankfurt am Main. München 2001;
Braun, Christina von/Christoph Wulf (Hg.): Mythen des Blutes. Frankfurt am Main 2007;
Nössler, Regina/Petra Flocke (Hg.): Blut. Konkursbuch 33. Tübingen 1997;
Blumentrath, Hendrik: Blutbilder. Mediale Zirkulationen einer Körperflüssigkeit. Bielefeld 2004. |