Kommentar |
Wie geht unser Fach - in all seinen diversen Facetten von Ethnologie - heute mit Europa um? Welchen Stellenwert hat Europa - im Vergleich zu anderen Areas ethnologischer Forschung? Und wie wird Europa "gewusst": mit welchen Methoden, Konzepten, Theorien werden welche Formate von Europa reflektiert und hergestellt? Das Studienprojekt wird diese Fragen im Feld gegenwärtiger ethnologischer Wissensproduktion im deutschsprachigen Raum und an ausgewählten internationalen, europäischen Standorten und Kontexten untersuchen. Dafür werden wir die Lehrangebote, Forschungsprojekte und Abschlussarbeiten deutschsprachiger Ethno-Institute untersuchen. Ausgewählte Standorte werden wir mit kleineren Exkursionen besuchen, zum Zweck diverser Eindrücke und Gespräche/Interviews mit Beteiligten vor Ort. Darüber hinaus wird eine Exkursion zur Zweijahrestagung der European Association of Europan Anthropologists als zentrale, gemeinsame und für alle verpflichtende Feldforschung der Projektgruppe durchgeführt: Diese Exkursion wird vom 19. bis 26.7. nach Milano führen, der eigentliche Kongress findet dort an der Universität Milano-Biccocca vom 20. bis 23.7. statt. Ein Zuschuss zu den Exkursionskosten der Studierenden (Reise- und Übernachtungskosten) wird gewährt. Für einen ersten Einblick in das Tagungsprogramm: http://www.easaonline.org/newsletter/64-0415/easa2016.shtml Die Frage des Studienprojekts nach Europa und Formen der "Europäisierung" unseres Faches zielt auf eine Erkundung der traditionellen Trennung und Arbeitsteilung der Ethno-Wissenschaften ab: Zwischen den Denk- und Forschungslinien einer Volkskunde, die sich auf nationale Kontexte konzentrierte, und den Denk- und Forschungslinien einer Völkerkunde, die ihren Fokus auf den außereuropäischen Kontext richtete. Welche Nachwirkungen, aber auch welche Transformationen dieser Arbeitsteilung und der darin angelegten Auslasssung Europas sind heute beobachtbar? Der Ansatz einer reflexiven Europäisierungsforschung, wie er u.a. an unserem Institut verfolgt wird, beansprucht, diese Trennung in Frage zu stellen und Europa in den Mittelpunkt einer dezentrierenden ethnologischen Aufmerksamkeit zu rücken, d.h. Europa als Produzentin wie als Produkt globaler Verflechtungen zu untersuchen. Der Fokus ist dabei auf die diversen Akteure und die kontingenten Projekte seiner Herstellung gerichtet. Das schließt die politischen Projekte der Europäischen Union und aller an diesen Prozessen sichtbar und unsichtbar beteiligten Akteure ein, fasst aber "Europa" selbst viel weiter: als historisch wie gegenwärtig globalisiertes Geflecht von Prozessen, Dskursen und Praktiken. Eine reflexive Europäisierungsforschung zielt auf eine konzeptionelle und disziplinäre Überwindung der wissenspolitischen Trennung und Hierarchisierung zwischen "dem Westen" und "dem Rest" ab, und damit auch auf den produktiven Einschluss aller Ethnologien in eine global forschende reflexive (Kultur- und Sozial)Anthropologie. Vor diesem Hintergrund beabsichtigt das Studienprojekt, einen neuralgischen Komplex zukünftiger Entwicklungen der (deutschsprachigen) Ethnologien zu untersuchen. Dabei geht es insbesondere um eine Kartierung der Orte und Projekte gegenwärtiger Europa- und Europäisierungsforschung im Fach. Daran lässt sich dann der Grad und der Stellenwert einer (reflexiven) Europäisierung des Faches erkunden und dessen weitere Bedeutung für die Entwicklung einer situierten, politischen Anthropologie globaler Verflechtungen diskutieren. Diese inhaltlichen Markierungen der geplanten Forschung werden jedoch gleichzeitig auch selbst Gegenstand der Diskussion und der weiteren Mit-Gestaltung durch die Projektgruppe sein. Idealerweise sollte die Gruppengröße 10-15 Personen nicht übersteigen, das absolute Maximum sind 20 Teilnehmende. Ich bitte daher vor Semesterbeginn um Anmeldung per Mail mit Hinweis auf die eigene Motivation und ggf. Vorkenntnisse in Feldern der Europäisierungs- und der Wissen(schaft)sforschung: regina.roemhild@hu-berlin.de, Betreff: Europäisierung der Ethnologien
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Literatur |
Tomas Gerholm & Ulf Hannerz (1982): Introduction: The Shaping of National Anthropologies. In: Ethnos 47 (2), 5-35 Gisela Welz (2013): Europa. Ein Kontinent - zwei Ethnologien? In: Thomas Bierschenk u.a. (Hg.), Ethnologie im 21. Jahrhundert. Berlin: Reimer, 211-228 Shalini Randeria & Regina Römhild (2014): Das postkoloniale Europa: Verflochtene Genealogien der Gegenwart. In: Dies. & Sebastian Conrad (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. 2., erw. Aufl. Frankfurt a.M. u.a.: Campus, 9-31. Eduardo Restrepo & Arturo Escobar (2005): 'Other Anthropologies and Anthropologies Otherwise': Steps to a World Anthropologies Framework. In: Critique of Anthropology 25 (2), 100-129 |