In den vergangenen zwanzig Jahren beobachten wir die Entstehung neuer ökonomischer Diskurse. Das zwanzigste Jahrhundert stand im Zeichen des Aufstiegs der Ökonomie als wissenschaftlicher Disziplin und der engen Verbindung von Makromodellierung und politischer Globalsteuerung. Ende der 1980er Jahre kam es zu einer weiteren Expansion ökonomischen Wissens im Zuge der Liberalisierung der Märkte und der Ausweitung der Mikroökonomie. Seither haben sich ökonomische Geltungs- und Gestaltungsansprüche erneut gewandelt; dies geht einher mit einer Transformation politischer und sozialer Regulierungstechniken.
Erstens hat die Forschung zu Glück und Wohlbefinden die Frage nach dem guten Leben wieder zurück ins Zentrum ökonomischer Debatten gebracht. Spätestens seit Keynes hatten Volkseinkommen und Wirtschaftswachstum die Definition wirtschaftlicher Zielvorstellungen dominiert. In den vergangenen zehn Jahren jedoch hat die Messung des subjektiven Wohlbefindens erneut und im Gegensatz zu früher erheblich an politischer Relevanz gewonnen. Demgegenüber zeigt die unter anderem von Martha Nussbaum und Amartya Sen geführte Kritik am Neo-Utilitarismus und der Wohlfahrtsökonomik, dass die Fokussierung auf den Glücksbegriff systematisch an Verteilungsproblemen oder der Einschränkung von Freiheitsrechten vorbeigehen kann.
Zweitens steht die Verhaltensökonomie als etablierte Forschungsrichtung seit etwa zehn Jahren in Verbindung mit neueren sozialen und politischen Regulierungsdiskursen. Verhaltensökonomische Erkenntnisse über den Einfluss kognitiver Ankerpunkte („defaults“) auf Auswahlentscheidungen unter Unsicherheit haben in den USA zu Veränderungen in rentenpolitischen Regulierungen geführt. Die EU-Richtlinie zu Konsumentenrechten nimmt diese Überlegungen explizit auf und verbietet das pre-ticketing von Optionen beim Online-Kauf von Flugtickets oder Versicherungen. Verhaltensökonomisch inspiriert sind auch eine Vielzahl weiterer Instrumente der sozialen Verhaltensregulierungen („nudging“). Den normativen Hintergrund bilden Überlegungen zum Zusammenhang von Freiheit und Paternalismus im regulativen Staat.
In dem Seminar wollen wir anhand ausgewählter Texte dem Wandel ökonomischer Diskurse und sozialer Regulierungsformen nachgehen. Dabei sollen insbesondere die philosophischen und politiktheoretischen Implikationen und Folgen kritisch diskutiert werden.
Jones, Rhys/Pykett, Jessica/Whitehead, Mark (2013): Changing Behaviours. On the Rise of the Psychological State. Cheltenham, UK/Northampton, MA: Edward Elgar.
Lunn, Peter L. (2014): Regulatory Policy and Behavioural Economics. Paris: OECD.
O'Donnell, Chris/Deaton, Angus/Durand, Martine/Halpern, David/Layard, Richard (2014): Wellbeing and Policy. London: Legatum Institute.
Sunstein, Cass R. (2014): Why nudge? The Politics of Libertarian Paternalism. New Haven/London: Yale University Press.