Zeit ist ein schillernder wie notorisch problematischer Begriff - dies zeigen nicht zuletzt die gegenwärtigen Debatten zur „Beschleunigung“ als Charakteristikum der Moderne. Allerdings verbleibt die Analyse nicht selten auf der Ebene kollektiver Erfahrungen, wie eben jener, dass sich das technologische und gesellschaftliche „Tempo“ stetig erhöhe. Es stellt sich die Frage, ob eine historische Analyse von Zeiterfahrungen und Zeitkonzepten es erlaubt, diese generelle Diagnose zu differenzieren. Ausgangpunkt dieses Seminars sollen spezifische Formen des Zeitwissens darstellen. So wurde Zeitlichkeit seit dem 19. Jahrhundert naturwissenschaftlich auf verschiedene Weisen bestimmt, verstanden und implementiert, etwa jene der Lebewesen und der Erdgeschichte im Umfeld der Evolutionslehre Darwins oder jene der Kosmologie, der Uhren und der Kommunikation in Einsteins Relativitätstheorie. Der irreversible „Zeitpfeil“ der Thermodynamik - eng verbunden mit dem Konzept der Entropie - oder die Zeitmessung mithilfe radioaktiver Prozesse im 20. Jahrhundert sind weitere Eckpunkte eines Zeitwissens, für das die Wände des Labors stets durchlässig geblieben sind. Ziel des Seminars ist zu untersuchen, auf welche Weise sich naturwissenschaftliches Zeitwissen in Verbindung mit technologischen Entwicklungen wie Kommunikations- und Verkehrsinfrastrukturen entwickelte und wie sich dieses Wissen in historisch stratifizierten Konzepten individueller „Lebens-“ oder kultureller „Weltzeiten“ (Hans Blumenberg) eingeschrieben hat - beispielsweise in kollektiven Beschleunigungserfahrungen oder dem komplementären Wunsch nach Entschleunigung. Schließlich soll auch thematisiert werden, wie sich die wechselnden Konzeptionen von begreifbar gemachter und gelebter Zeit zum Verständnis der Vergangenheit und damit zur Geschichtsschreibung verhalten – etwa anhand von naturwissenschaftlichen Datierungsverfahren (Radioisotope, DNA) oder Periodisierungen.
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