Kommentar |
Falls Bertolt Brecht als Lehrstück-Autor ein ‚orthodoxer Marxist’ gewesen sein sollte, dann war der frühe und ‚experimentelle’ Brecht noch auf der Suche nach wirtschaftlicher Expertise. Wie die ökonomischen ‚Verhältnisse’ zu modellieren seien, war für ihn ein theoretisches und zugleich poetologisches Problem. Das SE soll sich um die Problematik dieser Modellierung drehen. Erstens soll es Brechts ‚Wirtschaftsgeschichten’, sein Interesse an den Gesetzen und Dynamiken der Geld- und Finanzwirtschaft erkunden, insbesondere an prominenten Chronotopoi wie den der Börse, an der ‚Schattenwirtschaft’ des Kapitalismus oder auch an US-amerikanischen Gründungs- und Erfolgsmythen. Zweitens soll Brechts ‚ökonomische Anthropologie’ im Zentrum stehen, seine Aufmerksamkeit für zeitgenössische Arbeitskonzepte und Arbeitsumgebungen, für klassische Entwürfe ökonomischer Urszenen, aber auch für die Wirkungsästhetik von Werbung und Reklame. Drittens werden ‚ökonomische Infrastrukturen’ Thema sein: Verkehrsverbünde und ihre versicherungstechnische Absicherung, Kommunikationskanäle und entsprechende Wissenskonzepte sowie die übergreifende Systemdifferenz von West und Ost im Kalten Krieg. Abschließend werden Brechts eigene ‚Produktionsmodelle’ zu untersuchen sein, seine Experimente mit der Verwertungslogik moderner Massenmedien, insbesondere der Presse, dem Buchhandel, dem Rundfunk und der Filmindustrie, zudem seine Auffassung von Autorschaft und jene Archivpolitik Brechts, die bis heute sein Bild entscheidend prägt. Das SE wird also verschiedene Textgattungen und Werkphasen durchqueren; es setzt dabei aber weniger umfassende Kenntnisse zur Brechtphilologie voraus als vielmehr ein allgemeines ›wissenspoetologisches‹ Interesse an ökonomischen Fragen. Anmeldung und Übernahme eines Kurzreferats in der ersten Sitzung. |