Spätestens seit Dostoevskijs berühmter „Puškin-Rede“ am 8. Juni 1880 galt und gilt A.S. Puškin als Russischer Nationaldichter. Im Kontext der sowjetischen Nationalitätenpolitik der 1930er Jahre wurde er zum Modell für alle sowjetischen Nationalliteraturen erklärt. Die Tatsache, dass Puškin Nachkomme eines am Hofe Peters I. tätigen Äthiopiers war und seine afrikanische Herkunft in seinem Werk immer wieder als Element seiner Identität reflektiert hatte, wurde dabei praktisch nie erwähnt. Im Seminar wollen wir die nationale Kanonisierung und imperiale Instrumentalisierung Puškins rekonstruieren und nach den Ursachen für die Aggression gegen Puškindenkmäler im postsowjetischen Raum fragen. Zweitens wird es darum gehen, Puškins Selbstpositionierungen als Afropäer in Relation zu seinen literarischen Auseinandersetzungen mit russischen nationalen und imperialen Themen ergründen. Und drittens machen wir uns auf die Suche nach anderen Puškinrezeptionen: russischen, sowjetischen und internationalen, die von Standpunkten jenseits des großen Kanons die nationale Kodierung unterlaufen, alternative Puškinlektüren und -bilder hervorgebracht und sein Werk z.B. durch Übersetzung in kleine Sprachen oder andere Medien für eigene Positionierungen angeeignet haben.
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