Das „bürgerliche Trauerspiel“ bringt fehlbare, psychologisch komplizierte „Menschen“ auf die Bühne, um damit die nicht weniger problematischen „Menschen“ im Zuschauerraum zu bessern. Diese „Humanisierung“ literarischer Kommunikation ist historisch alles andere als selbstverständlich, weil es jahrhundertelang unplausibel war, eklatante gesellschaftliche, politische, religiöse, körperliche, psychologische, intellektuelle oder emotionale Unterschiede auf diese Weise zu vernachlässigen – auch heute ist „Humanität“ bei weitem nicht etwas so „Allgemeinmenschliches“, wie man vielleicht hoffen möchte. Auch in der Forschung ist die „Menschlichkeit“ des bürgerlichen Trauerspiels umstritten. Vorgeschlagen wurde etwa, die dramatischen Konflikte weniger von ihrer „menschlichen“ Seite aus zu begreifen, sondern vor allem als Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und Adel, zwischen Männern und Frauen oder auch zwischen Eltern und ihren Kindern. Wie also verhalten sich soziale, geschlechtliche oder generationelle Formen der „Humandifferenzierung“ (Stefan Hirschauer) zueinander? Welche Vor- und Nachteile bieten diese (u.a.) Deutungsschlüssel, wenn wir sie vergleichend am Beispiel von Lessings „Miß Sara Sampson“ und „Emilia Galotti“ sowie Schillers „Kabale und Liebe“ diskutieren?
Stefan Hirschauer: Menschen unterscheiden. Grundlinien einer Theorie der Humandifferenzierung, in: Zeitschrift für Soziologie 50 (2021), S. 155-174; Dirk Niefanger: Lessing divers – Soziale Milieus, Genderformationen, Ethnien und Religionen. Göttingen 2023; Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Berlin 2024 (u.ö.).
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