Kommentar |
Dieses Seminar richtet sich an Studienanfänger. Durch eine ausführliche Lektüre von Platons Politeia als ganzer bietet es eine Einführung in verschiedene Bereiche der Philosophie (Platon, antike Philosophie, Ethik, politische Philosophie, Psychologie, Erkenntnistheorie, Metaphysik, Philosophie der Literatur).
Das Format des Seminars ist außergewöhnlich. Denn es trifft sich zweimal in der Woche. Was Studienpunkte u.s.w. angeht, handelt es sich eigentlich um zwei Seminare, eins in der ersten und eins in der zweiten Semesterhälfte, die aber als eine durchgehende Lehrveranstaltung konzipiert sind. Es wird empfohlen, sich am Seminar über das ganze Semester zu beteiligen. Doch es ist zulässig, entweder nur das erste oder nur das zweite der beiden Seminare zu besuchen. (Wenn man nur das zweite besucht, sollte man versuchen, sich mit den Themen aus der ersten Hälfte der Politeia vertraut zu machen – z.B. dadurch, dass man die Materialien auf Moodle vom ersten Seminar anschaut.)
Erste Semesterhälfte: Gerechtigkeit, Glückseligkeit, und die Psyche: Platons Politeia 1 bis 5
Die Politeia ist vielleicht am bekanntesten dafür, dass sie einen Entwurf einer Utopie – einer Idealstadt – darlegt. Doch es fängt in Buch 1 mit ganz anderen Fragen an – zunächst, was ist Gerechtigkeit und dann was ist das Verhältnis zwischen Gerechtigkeit (bzw. Ungerechtigkeit) und Glückseligkeit (bzw. Unglückseligkeit). Trägt die Gerechtigkeit der Gerechten zu deren Glückseligkeit bei? Sind die Ungerechten wegen deren Ungerechtigkeit unglückselig? Ein Mitredner, Thrasymachus, argumentiert im ersten Buch, dass Gerechtigkeit bloß dem Vorteil der Mächtigen in einer Stadt dient. Sokrates gelingt es, Thrasymachus zu widerlegen. Doch am Anfang des zweiten Buches sagen andere Mitredner, dass Sokrates zwar den Streit gewonnen hat, doch ohne zu überzeugen. Sie fordern Sokrates heraus, der Frage nach dem Verhältnis von Gerechtigkeit und Glückseligkeit ganz anders nachzugehen, und zwar auf eine solche Weise, dass er tatsächlich überzeugt. So beginnt die Diskussion der Frage wieder von vorne, aber dieses Mal durch eine Analogie zwischen der Struktur der Stadt und der Seele des Einzelmenschen. Im Verlauf von den Büchern 2 bis 4 wird eine Stadt beschrieben. Dann, in Buch 4, wird für die strukturelle Gleichheit zwischen Stadt und Seele argumentiert. Auf der Basis wird die Frage beantwortet, was die Gerechtigkeit ist und auch ob die Gerechtigkeit die Glückseligkeit der Gerechten fördert. Dann nimmt das Gespräch Anfang des 5. Buches eine unerwartete Wendung, weil die Mitredner eine weitere Erläuterung von den Bräuchen bezüglich Ehe und Kindererziehung von Sokrates verlangen. Diese unerwartete Wendung führt dann zur Behauptung, dass die Herrschaft der Philosophie notwendig ist für die beste Stadt. Sokrates' Behauptung, dass in der besten Stadt Philosophen als Könige regieren, führt zur Frage, was Philosophie denn überhaupt ist.
Zweite Semesterhälfte: Philosophie, Wissen, Laster und Dichtung: Platons Politeia 6 bis 10
Die Bücher 6 und 7 befassen sich weiterhin mit der Herrschaft der Philosophie. Warum eigentlich sollte sie gut für eine Stadt sein? Wie soll sie überhaupt möglich sein? Was müssen die Philosophen wissen, um gut regieren zu können? Wie kann eine Stadt systematisch und zuverlässig dafür sorgen, dass heranwachsende Philosophen tatsächlich das lernen, was sie wissen müssen? Bei der Beantwortung dieser Fragen gibt Sokrates die drei berühmten Gleichnisse (Sonnengleichnis, Liniengleichnis, Höhlengleichnis). Außerdem beschreibt er ein Curriculum für die werdenden Philosophen, das überraschenderweise größtenteils aus Mathematik besteht. Wir werden uns eingehend mit den Gleichnissen befassen sowie mit der Frage, wozu das mathematische Curriculum dient. Dabei werden wir uns auch mit der Frage beschäftigen, was Wissen laut Platon ist und was laut Platon wirklich ist und warum laut Platon das, was wahrnehmbar ist und sich verändert, nicht wirklich ist. Die Bücher 8 und 9 beschreiben den Verfall der besten Stadt in korrumpierte Verfassungsformen sowie entsprechende Charaktertypen. Sie enthalten wesentliche Erweiterungen der politischen und psychologischen Theorien und außerdem eine psychische Theorie der vollkommenen Ungerechtigkeit. Erst dadurch ist Sokrates der Herausforderung Anfang des 2. Buchs nachgekommen, die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit zu definieren und auf ihr Verhältnis zu Glückseligkeit hin zu vergleichen. Das 9. Buch ist aber damit noch nicht ganz zu Ende. Sokrates fügt eine ganze Diskussion über Lust und Vergnügen hinzu und stellt außerdem weitere Überlegungen über die Seele und über die gerechte Lebensweise an. Das 10. Buch hat eine besonders rätselhafte Stellung im ganzen Werk. Es nimmt das Thema der Dichtung aus dem 2. und 3. Buch wieder auf, und gibt eine ganz andere Art Kritik der Dichtung. Außerdem argumentiert Sokrates für die Unsterblichkeit der Seele. Zum Schluss erzählt er einen Mythos darüber, was der (unsterblichen) Seele nach dem Tode widerfährt. Ein seltsamer Zug, da Sokrates gerade anscheinend eine Kritik eben solcher Geschichtserzählung ausgeübt hat. |