Antisemitismus hat in Deutschland eine lange Geschichte, in die auch die Literatur verwickelt ist. Zur Verbreitung entsprechender Ressentiments haben kanonische Autoren genauso beigetragen wie Schriftsteller der zweiten und dritten Reihe, die heute kaum jemand mehr kennt. Vor dem Hintergrund von aktuellen Debatten um „Integrationsverweigerer“ und „Leitkultur“ ist an dieser Geschichte bemerkenswert, dass viele Jüdinnen und Juden auf die Versprechungen der Aufklärung vertraut haben und sich – trotz Widerständen in ihren Kreisen – auf Taufe und Akkulturation einließen. Der Erneuerung von Feindbildern hat das nicht den Boden entzogen, sondern weiter Auftrieb gegeben. Das Seminar wird bei den Kontroversen um die „bürgerliche Verbesserung der Juden“ (Christian Konrad Wilhelm von Dohm) im ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzen und sich vor allem mit einschlägigen Beispielen aus der Erzählliteratur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auseinandersetzen (Achim von Arnim, Clemens Brentano, Wilhelm Hauff, Annette von Droste-Hülshoff, Adalbert Stifter, Gustav Freytag, Theodor Fontane, Thomas Mann). Einbezogen werden sollen zudem Romane und Schriften jüdischer Autorinnen und Autoren, die heterogene Umgangsmöglichkeiten mit Erfahrungen der sozialen Herabsetzung, verweigerten Teilhabe und offenen Anfeindung reflektieren (denkbar: Fanny Lewald, Leopold Kompert, Karl Kraus, Max Brod, Gabriele Tergit). Wer das SE besucht, sollte Zeit für die Bewältigung eines erhöhten Lesepensums einplanen und Interesse an der Einarbeitung in komplexe historische Gemengelagen mitbringen.
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