Kommentar |
In den vergangenen zehn Jahren ist mehrfach der Versuch unternommen worden, die vorwiegend in den Sozialwissenschaften beheimatete Intersektionalitätsforschung mit der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie zu kombinieren (vgl. z.B. den grundlegenden Band Intersektionalität und Narratologie, hg. von Christian Klein/Falko Schnicke, Trier 2014; sowie zuletzt: Intersektionalität und erzählte Welten, hg. von Verónica Abrego u.a., Darmstadt 2023). Es hat sich dabei als äußerst fruchtbar erwiesen, den Fragestellungen der Intersektionalität, d.h. der Analyse des Zusammenspiels und der Interdependenz unterschiedlicher Formen von Diskriminierung respektive Privilegierung, das methodische Instrumentarium der Narratologie zur Seite zu stellen: Wie werden soziokulturelle, geschlechtliche, ethnische, generationelle oder religiöse Identitäten in der Literatur konstruiert oder auch dekonstruiert?
Im Seminar werden sowohl theoretische Texte (u.a. von Judith Butler, bell hooks, Stuart Hall, Karin Stögner, Eva Blome, Ansgar und Vera Nünning) diskutiert als auch (überwiegend französischsprachige) literarische Texte im Hinblick auf Exklusions- und Herrschaftsmechanismen analysiert. Dabei geht es nicht darum, bestimmte Texte oder Auror:innen der Diskriminierung oder Privilegierung bestimmter Identitäten zu überführen, sondern vielmehr darum, vor dem Hintergrund der machtkritischen Ansätze und der Diversität unserer Gegenwartsgesellschaft neue Perspektiven auf literarische Texte unterschiedlicher Epochen zu gewinnen. In diesem Sinne kann beispielsweise die Untersuchung von Handlung, Raum und Zeit ebenso wie von Figurenkonstellationen, Erzählperspektiven oder Polyphonie Aufschlüsse darüber geben, inwiefern die Texte in ihrem jeweiligen soziohistorischen Kontext Hierarchien und Machtmechanismen bewusst oder unbewusst konstruieren, reproduzieren oder auch ‚queeren‘.
Voraussetzungen für die Teilnahme sind die Bereitschaft zur regelmäßigen Lektüre theoretischer und literarischer Texte, Lesekenntnisse im Französischen und Freude an theoretischer und methodischer Reflexion.
Der Lektüreplan wird zu Semesterbeginn bekannt gegeben. Zur Einführung empfehle ich: Vera und Ansgar Nünning: „‘Gender‘-orientierte Erzähltextanalyse als Modell für die Schnittstelle von Narratologie und intersektioneller Forschung? Wissenschaftliche Entwicklung, Schlüsselkonzepte und Anwendungsperspektiven“, in: Christian Klein/Falko Schnicke (Hgg.): Intersektionalität und Narratologie. Methoden – Konzepte – Analysen, Trier 2014, S. 33-60. |