Im Schatten des alten und des neuen Feminismus ist Männlichkeit zwar immer ein Thema gewesen, ein breiter öffentlicher Diskurs hat sich indessen nicht etabliert. Dabei ist Männlichkeit empirisch ein schwerwiegendes Problem, worauf nicht zuletzt die umstrittenen Critical Masculinity Studies aufmerksam gemacht haben: In den Kriegen der Gegenwart töten sich überwiegend Personen, die sich als Männer verstehen, und etwa 80% aller Suizide werden von Männern begangen. Wie kann also eine zugleich kritische und empathische Form der Auseinandersetzung mit Männlichkeit aussehen?
Männlichkeit ist diskursiv überdeterminiert: Männlich sind zentrale politische Konzepte wie der „große Mann“ (Michael Gamper) oder der „kleine Mann“ (Hans Fallada). Männlich sind soziale und ästhetische Schlüsselfiguren wie der „Hungerkünstler“ (Kafka), der „Arbeiter“ (Jünger) und der „Mann ohne Eigenschaften“ (Musil). Männlich sind aber auch negative Stereotypen wie der Versager und der Schmarotzer. Die Literatur partizipiert an der Konstruktion und Stabilisierung von „Männerphantasien“ (Klaus Theweleit), dokumentiert aber auch Versuche, sich der patriarchalen Ordnung zu entziehen. Historisch fällt auf, dass sich Kritik und Restabilisierung von Männlichkeitskonstrukten reziprok zueinander zu verhalten: Die viel diskutierte Krise der Männlichkeit um 1900 wurde kurz darauf durch die soldatischen Männlichkeiten des Faschismus beantwortet. Und auch heute gehört die antifeministische Kritik zum Konsens populistischer Bewegungen weltweit.
Das SE untersucht historische Entwürfe von Männlichkeit am Gegenstand literarischer Texte von 1850 bis heute: Welche Erwartungen wurden an männliche Körper und Affekte historisch gestellt und welche sozialen Differenzen lassen sich dabei beobachten? Wie eng reagieren Männlichkeitsdiskurse auf den feministischen Kampf um Emanzipation und welche Rolle spielt Männlichkeit für die Psychoanalyse? Was bedeutet es, in einer Kultur der Gewalt beheimatet zu sein, und was ist faschistische Männlichkeit? Wie wirken sich Veränderungen der Arbeitswelt auf die Männlichkeitsnorm postindustrieller Gesellschaften aus und welche Rolle spielt Vaterschaft in der Gegenwartsliteratur?
Arbeitsleistung: Impuls-Referat oder Thesenpapier |