In den Jahrzehnten um 1800 ändert sich das Nachdenken über Literatur. In der Frühen Neuzeit und auch noch in der Aufklärung wurde üblicherweise (und der Bezeichnung ‚Poetik‘) darüber reflektiert, wie Gelehrte und Dichter vorgehen sollen, wenn sie selber literarische Texte zu den verschiedenen Gattungen beitragen können, welche Regeln es zu befolgen und welche Muster es nachzuahmen gilt. Dieser Akzent auf der Produktion wird um 1800 abgelöst durch einen mehr analytischen Zugang zu literarischen Texten. Er ist daran interessiert, Texte – oft im Rahmen historischer und anderer Kontexte – in ihrer jeweiligen Gestalt beschreibend und verstehend zu erfassen, im 19. Jahrhundert nicht selten im Rahmen geschichtsphilosophischer bzw. historiographischer Perspektiven. Mit diesem Akzentwechsel diesem Akzentwechsel von einem produktionsorientierten zu einem analytischen Umgang mit Literatur entsteht gleichsam der Ansatz der modernen Literaturtheorie. Die theoretische Modellierung von Literatur wird zu einer dominanten Herausforderung für die Beschäftigung mit ihr; zweitens bildet sich erst in diesem Zug auch die moderne Gattungstrias heraus, damit aber auch ein Begriff von ‚Lyrik‘ und ‚dem Lyrischen‘ allgemein.Das SE möchte erstens an wichtigen theoretischen Texten einen Überblick darüber geben, wie sich die Gattungstheorie der Lyrik von 1800 an entwickelt und verändert hat. Mögliche Namen sind hier etwa Friedrich und August Wilhelm Schlegel, G.W.F. Hegel oder Friedrich Theodor Vischer. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf Positionen zur Theorie der Lyrik aus dem 20. und 21. Jahrhundert (mögliche Namen: Margarete Susmann, Käte Hamburger, Emil Staiger, Roman Jakobson, Renate Homann, Heinz Schlaffer).Arbeitsleistungen im SE werden voraussichtlich in Textpatenschaften bestehen, also der intensiven Vorbereitung einer Stunde mit eigenen Präsentations- und Moderationsaufgaben.
Einen Überblick über die Lyriktheorie in kurzen Quellenausschnitten bietet der Band: Lyriktheorie vom Barock bis zur Gegenwart, hrsg. von Ludwig Völker, Stuttgart (Reclam) 1990 und öfter. Um sich in das Thema einzulesen, ist dieser Band sehr wertvoll. Das SE wird sich allerdings nicht an den dort gebotenen Textausschnitten orientieren, sondern (oft) andere und (immer) längere Texte bzw. Textausschnitte zugrundelegen.Neue Tendenzen in der Lyriktheorie sind versammelt in den Bänden: Claudia Hillebrandt, Sonja Klimek, Ralph Müller (Hrsg.): Grundfragen der Lyrikologie. 2 Bde. Berlin, Boston 2018-2020.Vorausgesetzt wird für die Teilnahme eine grundsätzliche Vertrautheit mit Kategorien der Lyrikanalyse. Sie kann bereits im Vorfeld des Seminars anhand der folgenden Lehrbücher erworben werden, die unsere UB für Studierende der HU in digitaler Form (per VPN) vorhält:Christian Wagenknecht: Deutsche Metrik. Eine historische Einführung. München 2007 und öfter. https://doi.org/10.17104/9783406689017 Dieter Burdorf: Einführung in die Gedichtanalyse. 3. Auflage. Stuttgart 2015 (und öfter). https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-476-05422-7
Die Veranstaltung wurde 3 mal im Vorlesungsverzeichnis SoSe 2024 gefunden: