Kommentar |
Goethes Roman Die Leiden des jungen Werthers erregte nach seinem Erscheinen 1774 (vor genau 250 Jahren) vielfältiges Aufsehen: Leserinnen und Leser berichteten enthusiastisch von erschütternden Leseerlebnissen, zahlreiche Parodien, Verteidigungen und Gegenschriften drängten auf den Buchmarkt, Werthers Kleidung prägte die zeitgenössische Mode, schließlich kursierten (meist unzutreffende) Gerüchte von vermehrten Selbstmorden in der Nachfolge des Protagonisten. Werther wurde zum Paradigma einer neuen, emphatischen Lesekultur, in der sein gefeierter Autor in die ebenfalls neue Rolle eines verehrten ‚Stars‘ aufstieg. Und dies galt nicht nur für Deutschland: Werther war gleichzeitig einer der ersten internationalen Bucherfolge der deutschsprachigen Literatur. Das SE will sich mit den nachhaltigen Wirkungen auseinandersetzen, die der Roman in Deutschland und in anderen europäischen Ländern bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein gezeitigt hat. Dazu gehören etwa: – zeitgenössische literaturtheoretische Kontroversen darüber, ob Fiktion vorbildliche Figuren zeichnen soll oder problematische Charaktere explorieren darf; – die Herausbildung neuer Autorverständnisse (‚Stars‘) im Rahmen der nationalen und transnationalen literarischen Kommunikation; – zeitgenössische Deutungen des Melancholikers Werther als paradigmatischer Figur für die gesamte kulturelle und politische Epoche um 1800; – vor allem aber Übersetzungen in mehrere europäische Sprachen, zahllose transformierende Aufnahmen, sei es in Form von Spin-Offs (etwa die anonym erschienenen Letters of Charlotte to Werther, 2 Bde., London 1786, Amelia Pickerings The Sorrows of Werther. A Poem, 1788, John Armstrongs Confidential Letters of Albert, 1790 oder Sarah Farrells Charlotte, or a Sequel to the Sorrows of Werter, 1792), Gedichten, Dramen oder Romanen mit Werther-Bezug (von denen hier nur wenige Beispiele gegeben seien: Achim von Arnims Hollin’s Liebeleben, 1802, François-René de Chateaubriands René, 1802, Ugo Foscolos Le ultime lettere di Jacopo Ortis, 1802, oder Mary Shelleys Frankenstein, 1818). Die endgültige Textauswahl wird in der ersten Seminarsitzung bekanntgegeben. Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar ist: - erstens die Kenntnis von Goethes Roman, den wir im Seminar nicht noch einmal lesen; - zweitens eine gute Lesefähigkeit im Englischen, da wir einige englische Texte im Original lesen werden. Die Arbeitsleistung wird voraussichtlich in einer jeweils einer Stunde zugeordneten Arbeitsform bestehen (etwa Protokoll oder Textpatenschaft). Endgültig wird die Arbeitsleistung erst bei Seminarbeginn bekanntgegeben. |