Kommentar |
In diesem Seminar werden wir eines der berühmtesten und mustergültigen Stücke der griechischen Tragödie betrachten, nämlich Sophokles‘ Antigone. Die Geschichte ist allen bekannt: Kreon, der neue Tyrann von Theben, verbietet die Bestattung seines Neffen Polyneikes, da dieser als Verbannter gegen die eigene Stadt Krieg geführt hat. Antigone, Tochter des Ödipus und Polyneikes’ Schwester, akzeptiert Kreons Herrschaft nicht und übertritt trotzig das Verbot. Zur Strafe lässt Kreon sie schließlich lebendig einmauern. Die Bestrafung löst eine Kette von Selbstmorden aus: Antigone bringt sich um, daraufhin tötet sich auch ihr Verlobter Haimon, Kreons Sohn, und schließlich nimmt sich Eurydike das Leben, Kreons Ehefrau und Haimons Mutter.
In dieser Tragödie behandelt Sophokles das moralisch gerechtfertigte Aufbegehren gegen staatliche Ordnung bzw. Gewalt bei Strafe des eigenen Unterganges. Außerdem setzt sich Sophokles mit dem Gegensatz zwischen dem „ewig“ gültigen ethischen Wertesystem und der kurzlebigen Tagespolitik auseinander. Dabei wird deutlich, dass die Kluft zwischen beiden Gebieten unüberbrückbar ist. Trotzdem wird aber klar, welchem System Sophokles mehr Bedeutung zumisst – dem religiös-ethischen, für das die Figur der Antigone letztlich steht. Sophokles sieht in einem „guten“ Menschen ein individuell handelndes Wesen, das aber dennoch gottesfürchtig ist. Kreon lässt diese Ehrfurcht den Göttern gegenüber jedoch vermissen: Er macht sich der Hybris schuldig und wird von den Göttern damit bestraft, dass er seine eigene Familie verliert; das Leben seines Sohnes und das seiner Frau enden durch Selbstmord. Durch diesen schweren Schicksalsschlag erfährt Kreon aber zugleich seine eigene Läuterung und wird auf den rechten Weg zurückgeführt.
Im Seminar werden wir uns mit all den wichtigsten literarischen, kulturgeschichtlichen, anthropologischen und gattungstheoretischen Aspekten dieses Meisterwerkes der griechischen Tragödie auseinandersetzen und wir werden auch versuchen, einen Blick auf einige wesentliche Stationen der jahrhundertelangen Rezeptionsgeschichte zu werfen. Dafür werden wir die Monographie von George Steiner, Die Antigonen. Geschichte und Gegenwart eines Mythos, als Bezugstext in Betracht ziehen.
Eine vollständige Literaturliste wird am Anfang des Seminars zur Verfügung gestellt. |