Kommentar |
Zu den Phänomenen, die die Gegenwart in nahezu aufregender Weise mit dem 19. Jahrhundert verbinden, gehört die Art und Weise, wie mit der Natur umgegangen wurde. Die ambivalenten Modernisierungserfahrungen am Anfang und Ende des 19. Jahrhunderts führten schon damals dialektisch zur Rückbesinnung auf die Natur. Die Landschaftsbilder der Romantik zeugen ebenso von einer Sehnsucht nach dem „Ursprünglichen“ wie die Lebensreformbewegung am Übergang zum 20. Jahrhundert, als einzelne Aussteiger und diverse Gruppen eine Abkehr von der Industrialisierung und eine Rückkehr zur Natur vollzogen. Nacktkörperkultur, Lichtbäder, fließende Kleider und Kommunen als neue Lebensformen nahmen schließlich vieles von dem vorweg, was die Hippies der 1970er Jahre wiedererfinden sollten.
Aber im 19. Jahrhundert wurde die Natur nicht nur verehrt. Sie wurde auch gefürchtet, schließlich suchten immer wieder Seuchen die Bevölkerung heim. Der Ohnmachtserfahrung stand spannungsreich die Überzeugung von der menschlichen Allmacht gegenüber: In Infrastrukturprojekten wurde die Natur erobert und im Zuge der Industrialisierung ausgebeutet. Energieressourcen, die sich über Jahrtausende in der Erde angereichert hatten, wurden verschwendet. Kanäle wurden durch das Land gegraben und Flüsse in ein neues Bett gezwungen. Die europäischen Landschaften, die uns heute so „unberührbar“ erscheinen, sind vielfach das Produkt menschlichen Eingreifens im 19. Jahrhundert. Dass das „Natürliche“ oftmals ein Produkt von menschlichen Manipulationen war, zeigt sich nicht zuletzt in der soziokulturellen, diskursiven Aneignung der Natur als Argument. Um etwas als unabänderlich darzustellen, musste es nur als „natürlich“ präsentiert werden. Gerade wer z.B. Interesse hatte, hierarchische Genderordnungen zu zementieren, musste nur auf ihre „Natürlichkeit“ verweisen.
In dieser Übung werden die Studierenden angehalten, selbst auf die Suche nach Quellen zu gehen und auf der Basis dieser Quellen und Literatur über die verschiedenen methodischen Zugangsweisen gemeinsam mit ihren Kommiliton:innen zu diskutieren. |