Kommentar |
In der Rückschau stellt sich das Ende der DDR als eine Zäsur dar, die die Geschäftsgrundlage einer ganzen Gesellschaft verändert. Die Untersuchung von Zeugnissen auf einer mikrohistorischen Ebene ergibt jedoch einen weit heterogeneren Befund: Zwar griffen D-Mark, Privatisierungen und nun zugängliche westliche Warenwelt tief in den Alltag einer großen Mehrheit von Menschen ein. Doch daneben gibt es Bereiche, in denen sich das Leben von den historischen Ereignissen unberührt fortzusetzen scheint.
An dieser Stelle setzt ein Forschungsprojekt ein, das derzeit von den Reinbeckhallen in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum betrieben wird. Mit Hilfe von öffentlichen Aufrufen werden seit Juni 2020 Privatpersonen eingeladen, ihre Alben und anderen Fotografien zu zeigen und darüber zu erzählen; die Gespräche werden mit einer Overhead-Kamera aufgenommen und die Alben teilweise gescannt. Bisher wurden ca. 50 solcher Gespräche geführt und mit einer Overheadvideokamera aufgezeichnet. Das Recherche- und Sammlungsprojekt soll 2021 fortgesetzt werden, und für das Ende des Jahres ist eine Ausstellung in den Reinbeckhallen geplant.
Gemeinsam mit den Studierenden sollen Albensichtungen vorgenommen und Formate für die Ausstellung privater Fotografien erarbeitet werden. Leitende Fragen für die Ausstellungsvorbereitung sind: Wie lässt sich ein solch heterogenes Material für eine Ausstellung aufbereiten, wenn es meist anonym und ohne gesicherten Kontext und überdies in seiner Bildlichkeit oft repetitiv ist? Wie können die Interviews und Objekte (Alben ebenso wie Bilder) in eine Ausstellung eingebunden werden? Wie lässt sich in einer solchen Ausstellung Vermittlungsarbeit anlegen, die über den Modus einer bloß belehrenden Erklärung hinausgeht?
Weitere Informationen zum Projekt auf der Webseite: https://stiftung-reinbeckhallen.de/privatefotografie/
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Literatur |
Batchen, Geoffrey. „SNAPSHOTS: Art History and the Ethnographic Turn“. Photographies 1, Nr. 2 (September 2008): 121–42. https://doi.org/10.1080/17540760802284398; Bourdieu, Pierre, Robert Castel, Luc Boltanski, und Jean-Claude Chamboredon. Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie. Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt, 1981; Linda Conze, Ulrich Prehn und Michael Wildt: Sitzen, baden, durch die Straßen laufen. Überlegungen zu fotografischen Repräsentationen von „Alltäglichem“ und „Unalltäglichem“ im Nationalsozialismus, in: Fotografien im 20. Jahrhundert. Verbreitung und Vermittlung, hrsg. v. Annelie Ramsbrock, Annette Vowinckel und Malte Zierenberg, Berlin: Wallstein Verlag 2013, S. 270-298.; König, Anne, Elske Rosenfeld, Han Wenzel und Andreas Rost: Das Jahr 1990 freilegen, Leipzig: Spector Books 2019.; Starl, Timm, Knipser. Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980. München: Koehler & Amelang, 1995. |
Bemerkung |
Wichtiger Hinweis: Diese Veranstaltung ist die Fortsetzung einer Exkursion aus dem SoSe 2021, in der eine Ausstellung zur Privatfotogarfie in Ostdeutschland in den Reinbeckhallen erarbeitet wird (Eröffnung November 2021) . Wenn Sie im WiSe 2021/22 neu einsteigen, müssten Sie sich auf die schon in Kleingruppen erarbeiteten Strukturen einlassen. Das Seminar wird gemeinsam mit dem Kurator der Ausstellung Dr. Friedrich Tietjen (Leipzig) durchgeführt.
Max. Teilnehmer: 15 Teilnehmer*innen; 23. Oktober, 10:00s.t.-16:00 Uhr: Einführender Blockseminar-Termin in den Reinbeckhallen, weitere Termine werden danach bekannt gegeben;
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