Der Holocaust galt lange als emblematische Gedächtnisikone (Dan Diner) und Masternarrativ im Forschungsfeld der genozidalen Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wird in den transnational ausgerichteten Memory Studies – ausgehend von der postkolonialen Kritik – verstärkt die Frage konkurrierender Gedächtnisse an Holocaust und kolonialen Genoziden diskutiert, die sich jüngst in heftigen Debatten entladen, die auch als „Historiker*streit 2.0“ firmieren. Relativiert die Erinnerung an koloniale Verbrechen den Holocaust? Oder ist es umgekehrt geradezu zwingend, koloniale Genozide stärker in das kollektive (nationale, europäische, globale) Gedächtnis einzubeziehen als bisher? Aber wie?
Im Seminar lesen wir ausgewählte Texte von Vertreter*innen der internationalen Holocaust- und Genocide Studies und fragen nach Verschiebungen und Brüchen, die sich durch die Einbeziehung postkolonialer und vergleichender Perspektiven ergeben. Welche Gemeinsamkeiten, Verbindungen und Unterschiede zwischen kolonialer Gewalt und nationalsozialistischer Judenvernichtung lassen sich ausmachen? Warum werden beide Gedächtnisse häufig als konkurrierend beschrieben? Warum lösen die damit verbundenen Debatten so viele widerstreitende Gefühle und Reaktionen aus? Und welche Perspektiven eröffnen andere Konzepte der Erinnerung wie z.B. Michael Rothbergs Theorie der Multidirectional Memory?
Eine vorbereitende Lektüre für die erste vierstündige Sitzung am 25.10. ist zwingend erforderlich und steht in Moodle zur Verfügung.
Dieser Kurs ist offen für fortgeschrittene BA-Studierende, die ein besonderes Interesse an dem Thema haben. |