Gruppe 1: Mode und Gesellschaft 1750–2000
Mode gilt gemeinhin als Statussymbol; nicht erst seit Thorstein Veblens Theorie der feinen Leute (1899) ist insbesondere die Kleidung von Frauen Paradebeispiel für „demonstrative Verschwendung“. Im Blick auf 250 Jahre Mode- und Kleidungsgeschichte hinterfragt das Seminar diese geläufige Gleichsetzung von Mode und gesellschaftlichem Status und entwirft alternative Perspektiven auf die Beziehungen zwischen Mode, Ökonomie und Sozialität. Wir untersuchen die Geschichte der Kleidungsproduktion und des Kleidungskonsums, vergleichen Konfektionsmode und Massenmedien und fragen nach dem Stellenwert von Kleidung für die gesellschaftliche Teilhabe. Das Seminar verbindet Perspektiven aus der Alltagsgeschichte und der Geschichte der materiellen Kultur mit Gender History, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und der Geschichte der Human- und Sozialwissenschaften. Die Bereitschaft zur Lektüre englischsprachiger Fachliteratur wird vorausgesetzt.
Gruppe 3: „Rassistische Ideen“ und Alteritätskonstruktionen im Europa der Frühen Neuzeit (ca. 1500–1800)
Nicht nur in den USA, auch in Europa regt sich nicht zuletzt seit der Tötung George Floyds bei einer gewaltsamen Festnahme in Minneapolis im Mai 2020 zunehmend Protest gegen Rassismus und die staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ebenso wie die kaum reflektierte Erinnerung an koloniale Vergangenheit im öffentlichen Raum. Prominente Beispiele sind etwa der Umsturz einer Statue des britischen Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol im Juni 2020 und die schon seit den 1990er Jahren geführte Debatte über die Umbenennung der in unmittelbarer Nähe zum Institut für Geschichtswissenschaften verlaufenden Mohrenstaße.
In einer ambitionierten Untersuchung hat der US-amerikanische Historiker Ibram X. Kendi die dieser Diskriminierung zugrundeliegenden „rassistischen Ideen“ bis in die Frühe Neuzeit zurückverfolgt. In diese Zeit fallen nicht nur die großen „Entdeckungsfahrten“, sondern auch der Beginn und die „Blütezeit“ des transatlantischen Sklavenhandels. Seit mindestens den 1940er Jahren konstatiert die Forschung einen Zusammenhang zwischen antischwarzem Rassismus und afrikanischer Sklavenarbeit insbesondere auf Plantagen in den Amerikas, auch wenn die Natur dieses Zusammenhangs kontrovers diskutiert wird. Gleichwohl richtet sich Rassismus weder in den USA noch in Europa ausschließlich gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe, wie jüngst etwa der Anschlag auf eine Synagoge in Halle im Jahr 2019 gezeigt hat. Beispiele für Judenhass und im Extremfall die Ausweisung von Juden – wie beispielsweise 1492 in der iberischen Halbinsel geschehen – finden sich in der Frühen Neuzeit immer wieder.
Welche Rolle spielten Konzepte wie „Rasse“, Hautfarbe und andere Merkmale bei der Konstruktion von Alterität in der Frühen Neuzeit? Dieser Frage werden wir in diesem Kurs ausgehend von Kendis Konzept der „rassistischen Ideen“ nachgehen und uns dabei mit der aktuellen Forschung zur Geschichte des Rassismus ebenso vertraut machen, wie mit anderen Formen der Konstruktion von Alterität. Wie hilfreich ist Kendis Konzepte und wie belastbar sind die Entwicklungslinien, die sich aus seiner Anwendung ergeben?
Voraussetzung für die erfolgreiche Teilnahme an diesem Seminar ist die Bereitschaft zur Lektüre englischsprachiger Sekundärliteratur und Primärquellen.
Gruppe 4: Volk und Feind. Politische Kultur in der Weimarer Republik
Unter dem Eindruck veränderter politischer Kontexte und des veränderten Selbstbewußtseins der westlichen Demokratien, aber auch veränderter methodischer Ansätze haben sich die Fragen an die Weimarer Republik verändert. Nicht mehr so sehr das Problem des Scheiterns und dessen Gründe stehen im Mittelpunkt; die normative Frage nach dem Versagen der Demokratie spielt eine gerigere Rolle als die nach zeitspezifischen politischen Mentalitäten und Handlungsformen, Vorstellungen von einer guten Politik und politischen Utopien. Was verstanden die Menschen unter „Demokratie“? Was verbanden Sie mit Begriffen wie „Volksgemeinschaft“ oder „Führer“? Weimar wird heute sehr viel stärker als Zeit eines schwierigen Lernprozesses der politischen, sozialen und kulturellen Moderne gesehen denn als gescheiterte politische Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund will das Seminar neue Ansätze und Themen diskutieren.
Gruppe 5: Ländliche Moderne im 19. und 20. Jahrhundert
Das „Land“ galt im Vergleich zur Stadt lange Zeit als unmodern und rückständig. Gleichzeitig diente es als Projektionsfläche für das vermeintlich Natürliche und Unverfälschte. Im Vergleich zu städtischen Entwicklungen in der „Moderne“ blieben diese auf dem Land deshalb lange unbeachtet.
Das Seminar untersucht anhand thematischer Zugänge ländliche Regionen in Deutschland von der Mitte des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Es nimmt soziale, kulturelle, politische, wirtschaftliche und technische Wandlungsprozesse in den Blick. Dabei werden auch Fremd- und Selbstzuschreibungen analysiert und dekonstruiert.
Obwohl das Seminar nicht chronologisch aufgebaut ist, finden die unterschiedlichen politischen Systeme und Ideologien und ihre Auswirkungen auf ländliche Regionen ebenfalls Beachtung.
Gruppe 6: Michail Gorbatschow und die Perestroika
Das Seminar widmet sich den Ursprüngen, dem Verlauf und den Folgen jener großen Reformen, die nicht nur das sowjetische Imperium zu Fall brachten, sondern auch die Welt veränderten. Im Vordergrund stehen die Veränderungen, die sich zwischen 1985 und 1991 im Inneren der Sowjetunion vollzogen und die Motive, die die politischen Akteure dazu bewegten, die alte Ordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern.
Gruppe 8: Maritime Träume. Das Zarenreich am Schwarzen und Kaspischen Meer, 1700-1917
Während Russland in vielerlei Hinsicht ein klassisches Landimperium darstellt, erforscht dieses Seminar die Bedeutung von Meeren und Küsten im Zarenreich im Allgemeinen und vom Schwarzen und Kaspischen Meer im Besonderen. Dabei werden nicht nur die Meere selbst, sondern auch ihre durch Flusslandschaften geprägten Einzugsgebiete betrachtet. Dieser Blick offenbart transregionale Verflechtung: die Wolga, den Don oder Dnepr entlang nach Norden, aber vor allem nach Süden, ins Osmanische Reich, nach Persien und in den Mittelmeerraum. Wie prägten die maritimen Grenzräume die dort lebende, kulturell vielfältige Bevölkerung und die Entwicklung des Reiches im Ganzen?
Wasser hatte zweifellos etwas Verbindendes. Es förderte Austausch, Handel und Migration. Doch zugleich trennte es Menschen und Regionen, was Schutz, aber auch Abschottung und Entfremdung bedeutete. Zudem hatten Meere und Flüsse eine inspirierende und mobilisierende Seite: Sie zogen politische Eliten, Kulturschaffende und Erholungssuchende ebenso an wie Siedlungsbewegungen aus dem In- und Ausland; und die Bilder, die sie hinterließen, erinnerten an Heimat, Vertreibung und Unrecht.
Das Seminar untersucht sowohl sich verändernde Politik als auch deren Umsetzung und Wahrnehmung vor Ort und untersucht Geschichte so gleichermaßen „von oben“ und „von unten“. Wie unterschieden sich die Erfahrungen, die Menschen aufgrund von sozialer Zugehörigkeit, Geschlecht, Religion, Ethnizität und anderen Faktoren im maritimen Raum machten?
Während der Schwerpunkt auf der Analyse visueller und gedruckter Quellen und Manuskripte liegen wird (z.B. Landkarten, Gemälde, Manifeste, Schriftverkehr, Presseartikel, Memoiren), werden auch raumtheoretische Ansätze der Geschichtswissenschaften im Seminar Berücksichtigung finden.
Gruppe 9: Was denkt das Volk? Geheimpolizeiliche Stimmungsberichterstattung im 19. und 20. Jh.
Was denkt das Volk? Welche Meinungen, Haltungen und Ansichten herrschen in einer Gesellschaft vor? Sich einen Eindruck von der Stimmung der Bevölkerung zu verschaffen, gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen politischen Handels. Politisch Verantwortliche konsultieren daher Medien und Meinungsumfragen, registrieren Demonstrationen und andere Formen öffentlichen Protests. In autoritär oder diktatorisch regierten Staaten, in denen es an Meinungs- und Pressefreiheit mangelt, stehen diese Instrumente nur eingeschränkt zur Verfügung. Hier griffen und greifen die Machthaber daher auch auf geheimpolizeiliche Stimmungsberichte zurück. Das Seminar befasst sich, vornehmlich mit Blick auf die deutsche Geschichte, mit der Genese und der Rezeption dieser Berichte sowie mit ihrer Funktion in unterschiedlichen politischen Systemen. Darüber hinaus sollen stets auch Reichweite und Grenzen der Aussagekraft geheimpolizeilicher Stimmungsberichte für die historische Forschung ausgelotet werden.
Gruppe 10: Der Weg zu einer post-imperialen Ordnung: der ungarisch-österreichische Grenzraum nach dem 1. WK
Im Spätherbst 1918 verlor die Österreichisch-Ungarische Monarchie den Ersten Weltkrieg. Damit brach auch die alte Ordnung zusammen. In diesem Seminar wird es um den Weg in eine „post-imperiale Ordnung“ gehen. Im Mittelpunkt wird dabei exemplarisch der ungarisch-österreichische Grenzraum stehen. Diskutiert werden u.a. die folgenden Themenbereiche: 1) Implementierung der neuen Ordnungen und ihre Konsequenzen, 2) Nachkriegsgewalt und politische Mobilisierung, 3) Wirtschaftlicher Zusammenbruch und neues Grenzregime, 4) Ständische Strukturierung eines sprachlich/konfessionell vielschichtigen Grenzraums.
Gruppe 11: Die Hochzeit der Urbanisierung in Europa im 19. und 20. Jahrhundert
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte sich für viele Menschen die Welt in einem Ausmaß und in einer Geschwindigkeit, die bis dahin beispiellos waren. Im Zentrum dieser Entwicklung stand mit der Urbanisierung ein Prozess, der sich zugleich mit vielen anderen sozialen, politischen und kulturellen Entwicklungen verband. Im Seminar wollen wir die grundlegenden Entwicklungslinien und Folgen dieses Prozesses vor allem anhand von Quellen kennenlernen und analysieren. |